Tanz zwischen den Landesgrenzen
Projekt "KorresdonDanSe 4.0" auf der Passerelle

Das Projekt "KorresponDanse 4.0" bei seinem Abschluss auf der Passerelle. | Foto: Kunstschule Offenburg-Ortenau
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  • Das Projekt "KorresponDanse 4.0" bei seinem Abschluss auf der Passerelle.
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Offenburg/Kehl (st). Wie silberne Fäden verwebten sich im Zentrum der Passerelle des Deux Rives, der Brücke, die bei Straßburg, Frankreich und Deutschland verbindet, die jungen Tänzer des Projektes „KorresponDanSe 4.0“ mit den Klängen und Geräuschen diese ungewöhnlichen Freiluftbühne.

Hoch über dem Rhein und mitten auf der im Wasser verlaufenden Ländergrenze mischten sich tuckernde Rheinschiffe, läutende Kehler Kirchenglocken, wummernden Bässen des zeitgleich startenden Festivals für elektronische Musik „Longevity“, afrikanische Rhythmen einer Perkussionsgruppe am französischen Ufer und der Klang des Windes einer rechtzeitig abziehenden Regenfront, mit den Musikstücken der jüngsten Choreografie des mit zwei Bundespreisen ausgezeichneten Tanzprojektes.

Der Initiatorin von "KorresponDanSe", die Kunstschule Offenburg und ihre französische Partnerin Compagnie Blicke, ist es zum vierten Male gelungen, 20 junge Leute im Alter von 14 bis 30 Jahren aus Deutschland und Frankreich und fünf weiteren nicht europäischen Ländern, die als Flüchtlinge in Deutschland oder Frankreich leben, dafür zu begeistern, sich sechs Tage lang, intensiv ein zeitgenössisches Tanzstück zu erarbeiten. Unter der Leitung der Choreografin und Tanzkünstlerin Rica Lata Matthes in Offenburg und dem Leiter von Compagnie Blick und Choreografen Enrico Tedde, ist dabei erneut ein ungewöhnliches tänzerisches Werk entstanden, in dem sich die tänzerischen Potentiale von jugendlichen Tanzbegeisterten mit der Erfahrung semiprofessionell tanzender junger Erwachsenen, beeindruckend ergänzten.

Zu den barocken Klängen von Antonio Lucio Vivaldi, Kompositionen perkussiver Flötenstücke aus Japan, traditioneller Tanzmusik aus Afrika und zeitgenössischer europäischer Musik erzählten die jungen Tänzerinnen und Tänzer am vergangenen Samstag, in dichten getanzten, poetischen Choreografien von der Schwierigkeit sich zu lösen und zu verabschieden, von der Kostbarkeit der Erinnerungen und der Freiheit überwundener Grenzen.

Wie Beziehungen und Dinge uns halten, wenn wir eigentlich weg wollen oder ungewollt fort müssen, wurde über lange elastische Stoffbänder visualisiert, die die vereinzelten Tänzer umso stärker hielten, je weiter sie sich vom Ort ihres Aufbruchs entfernten. Erst nach dem Abstreifen entstand langsam Raum für die Freiheit aber auch für die Erschöpfung.

Ein mit einander verwobener, verstrickter Tänzerköper aus 8 Menschen bewegte sich auf die Brückenmitte, gleichzeitig sich gegenseitig Halt gebend, behindernd, vorantreibend, bremsend. Das sie zusammenhaltende Band löste sich in den tänzerischen Aktionen, und wurde mit all seinen Verknotungen des Lebens, die durch die Lebendigkeit der Tänzer entstanden waren, symbolhaft zurückgelassen.

In der Freiheit, nun ungebunden mitten auf der Grenze tanzen zu können, vermischten sich Musik, Kulturen und Tanzstile zu einer vitalen Lebensfreude. Mit einem Bruch der Tanzbilder gelang es einen berührenden Kontrast zu setzen.

Aus dem zurückgelassenen „Lebens“band heraus wurde nun ein Bewegungsraum gebildet, der die wechselseitigen Kräfte der Tänzer, die das Band zu einem Polygon formten, thematisierte. So wurde die soziale Abhängigkeit visualisiert und gleichzeitig die Paradoxie Situation dazu, wer, wie und mit welchen Mitteln Grenzen hervorbringt, mit denen der sich selbst einschränkt. Hier erlaubte die Offenburger Choreografin Rica Lata Matthes auch die Eigenschau des Publikums und der vielen, durch das Stück, mit seinen von den Tänzern gezogenen Bändern, huschenden zufälligen Brückenpassanten. Damit stellte sich auch die Frage, wann aus Bewegung Tanz wird, wo aus einem Ausfall ein Einfall und wer ist eigentlich Zuschauer und wer Akteur?

In der Schlusschorografie, die vom Straßburger Choreografen Enrico Tedde in Sezene gesetzt wurde, fesselte die Zuschauenden mit einem in höchster Konzentration und extrem langsam performten Zug von Menschen und Gegenständen. Als würde das Kostbarste, das einem von der materiellen Welt geblieben ist - immer noch verbunden mit seinen Erinnerungen und Eunktionen, weitergegeben oder zusammen mitgenommen. Diese Sezene griff noch einmal in seiner ideenreichen, tänzerisch-performativen Form, den sich durch das Stück als roter Faden hindurchziehenden Themenkreis auf, von Grenzen, Begrenzungen, gewonnenen wie verlorenen Freiheiten und der Bedeutung des Gemeinsamen.

Der Projektinitiator und -leiter Heinrich Bröckelmann (Kunstschule Offenburg) dankte nach dem Schlussapplaus dem Eurodistrik Straßburg-Ortenau, der Bürgerstiftung Sankt Andreas und dem Fond for SozioKultur für die finanzielle Unterstützung. Angesichts dessen, dass auch nach diesem Stück die gemeinsame Gruppe der jungen Tänzer und Tänzerinnen beiderseits des Rheins wieder auseinandergehen, formuliert er sein Anliegen, ein gemeinsames deutsch-französisches Tanzprojekt für junge Europäer und Nichteuropäern zu gründen, das beiderseits des Rheins agiert. Es soll trotz der Grenzen temporär gemeinsame Produktionen erarbeiten, für Stücke „Mitten auf der Grenze“.

„Hier könnten dann auch immer wieder neue tanzbegeisterte Jugendliche und junge Erwachsene zusammen finden, um aktuelle Themen in die Sprache des zeitgenössischen Tanzes übertragen - „es ist ja auch ihre gemeinsamen europäisch Zukunft und die der Welt“.Weitere Auskünfte und Information: www.kunstschule-offenburg.de.

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