Zeitzeugen besuchen die Ausstellung „Zwischenzeit: Kehl von 1944 – 1953“
Sie sind die drei Kinder am Stacheldrahtzaun

Vor 60 Jahren am Stacheldraht (von links): Liliane Fritsch, Egon Eisenbeiß und Annie Maelcher. | Foto: Foto: Stadt Kehl
  • Vor 60 Jahren am Stacheldraht (von links): Liliane Fritsch, Egon Eisenbeiß und Annie Maelcher.
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Kehl. Lässig lehnt die kleine Annie an dem dicken Holzbalken, die Arme verschränkt, die Beine
überkreuzt. Etwas skeptisch schaut sie in die Kamera, das kinnlange
blonde Haar ist vom Wind ein wenig zerzaust: Als Liliane Fritsch das
Mädchen auf dem Foto in der Straßburger Tageszeitung Dernières Nouvelles
d’Alsace sah, wusste sie sofort: Das muss ihre kleine Schwester sein.

Diese stand am Stacheldrahtzaun, der in Kehl vom Sommer 1949 bis ins Frühjahr
1953 das deutsche vom französischen Territorium abtrennte, wie der
Artikel über die Ausstellung „Zwischenzeit“ im Hanauer Museum Kehl
verriet, zu dem das Bild gehörte. Wie Liliane Fritsch aus Straßburg ging
es auch Egon Eisenbeiß aus Kehl, heute 75 Jahre alt: Er hat sein
neunjähriges Ich ebenfalls auf dem Plakat zur Ausstellung entdeckt.
Jetzt haben sich alle drei im Hanauer Museum wiedergetroffen, um Archiv-
und Museumsleiterin Ute Scherb ihre Geschichten zu erzählen. 

„Ich habe meine Schwester sofort angerufen, nachdem ich das Bild in der
Zeitung gesehen habe“, erinnert sich Liliane Fritsch, die heute in der
französischen Gemeinde Eschau bei Straßburg lebt. An ihre Zeit in Kehl,
wo sie mit ihrer Familie die Jahre zwischen 1947 und 1950 verbrachte,
hat sie nur noch wenige Erinnerungen – dass sie das Mädchen sein musste,
die da neben ihrer Schwester auf dem Bild vom Stacheldrahtzaun zu sehen
ist, war ihr aber sofort klar. „Ich weiß noch, dass wir oft dort
gespielt haben“, erzählt sie. Den Moment, in dem das Foto am
Stacheldraht aufgenommen wurde, hat die inzwischen 72-Jährige noch genau
vor Augen: „Ich stand dort und sah diesen großen Mann mit der Kamera
vor mir. Und ich weiß noch, dass ich mich gefragt habe: Was will der
denn eigentlich?“

Sechs Jahre muss Annie Maelcher alt gewesen sein, als das Bild entstanden ist, rekonstruieren sie, ihre Schwester
und der Dritte im Bunde, Egon Eisenbeiß, beim Besuch in der Ausstellung
„Zwischenzeit“ im Hanauer Museum. Der Zaun war in jener Zeit ein
beliebter Treffpunkt für die Kinder, erinnert sich auch Egon Eisenbeiß.
Manchmal sei man einfach darunter durchgeklettert, um zu den
Spielkameraden auf der anderen Seite zu kommen – was natürlich streng
verboten war.

Bevor beide Schwestern aber das Museum verlassen, übergeben sie Ute Scherb noch Kopien von Schriftstücken aus ihrer Kehler
Zeit: Ausweispapiere, eine Ankunftsbestätigung und einen Zollbeleg. Die
Archiv- und Museumsleiterin freut sich über die Neuzugänge und darüber,
dass die bis zum 27. November dauernde Ausstellung „Zwischenzeit“ im
Hanauer Museum so gut ankommt. Das Foto, das die Zeitzeugen dazu
veranlasst hat, Ute Scherb ihre persönlichen Geschichten aus der
Nachkriegszeit zu erzählen, stammt übrigens aus der Sammlung von Dr.
Agnes Obenauer, der ersten Kehler Gemeinderätin. 15 Fotoalben hatte
diese dem Stadtarchiv vermacht.

Autor: st

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