Wie Schüler in einer Vorbereitungsklasse die deutsche Sprache erlernen
„Manche Schüler sind sogar traurig, wenn Ferien sind“

Mit Freude bei der Sache: Schüler der Vorbereitungsklasse zusammen mit ihrer Lehrerin Katharina Henke (Dritte von links) im Klassenzimmer. | Foto: Foto: rö
  • Mit Freude bei der Sache: Schüler der Vorbereitungsklasse zusammen mit ihrer Lehrerin Katharina Henke (Dritte von links) im Klassenzimmer.
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Ortenau. Gut ein Jahr ist vergangen, seitdem viele Menschen, die aus Kriegsgebieten geflohen
sind, in der Ortenau eine neue Heimat gefunden haben. In der Serie „So
packen wir es an“ im Stadtanzeiger schildern wir, wie die Mammutaufgabe
der Integration von den unterschiedlichsten Akteuren geschultert wird.

Unterricht in der Vorbereitungsklasse 1, kurz VKL1, an der Lahrer Friedrichschule.
Katharina Henke heftet Darstellungen von Kleidungsstücken an die Tafel,
deren Namen sich die Schüler einprägen sollen. Und die Schüler sind mit
Feuereifer bei der Sache. Viele Hände werden in die Höhe gereckt, als
die Lehrerin fragt, was man gegen Kälte braucht. Schließlich sollen
 sich die Schüler – nach einer zweiminütigen „Einprägungspause“ – die
Namen aller zehn Kleidungsstücke merken und anschließend in der
richtigen Reihenfolge – vom Schal über die Mütze bis zum T-Shirt – nennen können.

„Wortschatz-Unterricht“ ist diesmal in der derzeit 21 Schüler im Alter zwischen elf und 15 zählenden
Vorbereitungsklasse zur Sprachförderung an der Gemeinschaftsschule
angesagt. „Die Schüleranzahl variiert monatlich, da immer wieder
Neuanmeldungen kommen beziehungsweise Schüler meiner Klasse mit
ausreichenden Deutschkenntnissen in die zweite Vorbereitungsklasse
(VKL2) oder schon in die Regelklassen integriert werden“, berichtet
Katharina Henke. Leider verliere man auch Schüler, die ausgewiesen
werden oder die einer neuen Unterkunft zugeteilt werden und die Schule wechseln müssen.

Der zeitweilige Besucher kann das Bedauern verstehen. Schüler aus Italien, Rumänien, Bulgarien, Irak, Iran, Syrien, Afghanistan, Thailand und Russland befinden sich derzeit in der Klasse,
und nicht nur die offenkundige Freude am Lernen ist beeindruckend,
sondern auch die Atmosphäre. „Die Schüler sollen sich angekommen und
willkommen fühlen“ nennt die 33-jährige Lehrerin neben den fachlichen
eines ihrer persönlichen Ziele. Auch solle „die Schule ein geschützter
Raum sein, der sie sprachlich und persönlich auf ihr neues Leben im noch
fremden Deutschland vorbereitet“. Gleichzeitig sollten die Schüler ihre
„Wurzeln“ wie Muttersprache, Kultur und  Erlebnisse aus der Heimat nicht vergessen. 

„Die meisten Schüler sind hoch motiviert, lernen schnell und gern“, weiß Katharina Henke. Es hänge jedoch stark von der bisherigen Bildungsbiografie und auch von bisherigen traumatischen Erlebnissen ab, wie schnell und nachhaltig Schüler lernen. Die Lehrerin: „Es gibt auch
Schüler, die in ihren Herkunftsländern nicht beschult wurden oder jahrelang auf der Flucht waren. Da braucht man viel Geduld und natürlich auch mehr Zeit.“

Manchmal sei es schwierig, allen Altersgruppen und Bedürfnissen gerecht zu werden. Hinzu komme, dass die Schüler auf unterschiedlichem Sprachniveau sind. Da sei es wichtig, Unterstützung zu haben – wie in dieser Klasse durch Dorothee Geiger von Teach First,
eine gemeinnützige Bildungsbewegung, die sich nach eigenen Angaben für
das Recht auf Bildung und faire Chancen für alle Kinder einsetzt.
Offenbar mit Erfolg: „Bis auf wenige Ausnahmen gehen alle Schüler gern
in die Schule, im Unterricht sind sie sehr motiviert und freuen sich,
wenn sie möglichst oft aufgerufen werden“, betont die Lehrerin und fügt
hinzu: „Manche Schüler sind sogar traurig, wenn Ferien sind.“

Schwierig sei es, wenn es zu Konflikten unter den Schülern kommt. Einige seien
auch kulturell begründet. „Beleidigungen die Familie oder das jeweilige
Herkunftsland betreffend können schnell eskalieren“, weiß Katharina
Henke. Dank einer guten Zusammenarbeit mit der Jugendsozialarbeit an der
Schule könnten aber auch solche Konflikte immer gelöst werden.

Eines von vielen Beispielen für die Arbeit mit Jugendlichen in den Schulen,
ihre positiven Ziele und Resultate und ihren Problemen. Insgesamt 71
VKL-Klassen gibt es derzeit laut Auskunft des Staatlichen Schulamts
Offenburg, das dafür zuständig ist, in der Ortenau, 39 davon sind
Grundschul-, 25 Werkreal- und sieben Realschul-Klassen. „Damit ist eine
flächendeckende Versorgung sehr gut erreicht“, konstatiert die leitende
Schulamtsdirektorin Gabriele Weinrich. Aufgrund der starken Schwankungen
könne immer nur punktuell angegeben werden, wie viele Kinder und
Jugendliche die Vorbereitungsklassen besuchen. Am 19. September dieses
Jahres seien es bei einer Erhebung des Kultusministeriums knapp 1300
Schüler gewesen. Am 19. November werde wieder eine Abfrage stattfinden.

„Die Durchlässigkeit zwischen den Vorbereitungsklassen der unterschiedlichen
Schularten ist sehr wichtig für die schulische Laufbahn der
zugewanderten Schüler“, weiß Weinrich. Bei der „Verzahnung mit der
Regelklasse“ spiele das Alter und die Leistung des Kindes eine große
Rolle, denn es müsse „für jeden Lernenden passgenau geprüft werden, wo
er die ersten Schritte wagen kann“.

So wie in der Klasse von Katharina Henkel. „Ich liebe meinen Beruf und besonders meine Arbeit in
der Vorbereitungsklasse. Ich mag das ‚Sprachenwirrwarr‘ und interessiere
mich für andere Kulturen“, sagt sie. Außerdem findet sie es
„beeindruckend, wie schnell die Kinder und Jugendliche Vertrauen zu mir aufbauen“.

Das findet auch der kurzzeitige Besucher, der nicht mit einem „Sprachenwirrwarr“, sondern mit überaus freundlichen Blicken und mit einzelnen entsprechenden Zurufen verabschiedet wird. Diese Kinder, denkt er, haben es mehr als verdient, das schulische Rüstzeug
für eine gelungene Integration zu bekommen.

Autor: Norbert Rößler

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