Radio-Team um Frank Leonhardt startete 1997 aufwändiges Unterfangen
Offenburgs Piratensender auf hoher See unterwegs

Frank Leonhardt mit dem DDR-Sender heute | Foto: Foto: arts
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Offenburg (arts). Ganz schön irre, mit dem „Jolly Roger“, der Totenkopfflagge am Mast, in See zu stechen und Radio zu machen. Das hatte sich vor 20 Jahren der Offenburger Radiofreak Frank Leonhardt und ein Dutzend weiterer Mitstreiter aus der Szene in den Kopf gesetzt. Und tatsächlich schafften sie es nach Lösung etlicher Probleme, allerdings erst zwei Jahre später, mit einem gecharterten Schiff für mehrere Tage in den internationalen Gewässern der Nordsee ein europaweit zu hörendes Rundfunkprogramm auszustrahlen.

Zur Vorgeschichte: In den 1960er-Jahren entstand vor der englischen Küste im Ärmelkanal eine muntere Piratensenderszene, die von Schiffen, aber auch Festungsplattformen, außerhalb der Drei- später Zwölfmeilenzone ein bis dahin ungewohntes flottes Musikprogramm ausstrahlte. Zeitweise waren mehr als zwölf Sender im Äther. Das alles, als staatlicher oder öffentlich-rechtlicher Rundfunk in fast allen europäischen Ländern Monopolstellungen hatte und für die Jugend ein recht dröges Programm ausstrahlte. Diese Zielgruppe war von dieser neuen Art von Radio begeistert. So hörte der junge Leonhardt damals in Offenburg bei bester Qualität unter anderem das legendäre Radio Caroline. Die lockere Art der DJs und das Offshore-Feeling begeisterten ihn. Der Radiovirus hat ihn seither infiziert, auch wenn 1967 die Seesender vor der englischen Küste ihre Sendungen einstellen mussten.

Leonhardt gründete die "Free Radio Campaign Germany" und hat fast drei Jahrzehnte die Zeitschrift "Radio News" herausgegeben. Die Liberalisierung des Rundfunkrechts kam Mitte der 1980er-Jahre auf. So lag es nahe, dass der Offenburger 1987 zu den ersten in Baden-Württemberg gehörte, der mit "RTO Radio Telstar Offenburg" einen Privatsender gründete.

Der 30. Jahrestag des Endes der „Glanzzeit“ dieser Hochsee-Sender war Anlass für Radiofreaks, die meisten kamen aus Nordrhein-Westfalen, mit einem eigenen Seesender-Projekt dieser Ära zu gedenken. Die Planungen liefen 1997 an. Finanzierung, Equipment, Programmplanung, Schiff mit Besatzung – an alles musste gedacht werden. Die Studiotechnik kam von "Radio Telstar Offenburg", das nach über fünf Jahren aufgrund Novellierung der Mediengesetze mit der Konkurrenz fusionieren musste. Kurzwellen- und Mittelwellensender hatten die Kollegen im Fundus, Antennen mussten speziell für den Einsatz konstruiert werden. Als Besonderheit war der Einsatz der Langwelle geplant. „Das hat bislang noch keiner auf See gewagt“, betont Frank Leonhardt, der einen alten Funkfeuersender aus DDR-Zeiten ersteigerte. Dass das ersteigerte Gerät am letzten Standort abgeholt werden musste, war Leonhardt leider nicht bewusst. Das stand nämlich in Boxberg in der Oberlausitz, dem östlichsten Teil Sachsens nahe der polnischen Grenze.

Die Abholung im Spätsommer 1997 hatte eine kleinere Familienkrise ausgelöst. Auf der Rückfahrt vom Berlin-Urlaub kündigte Leonhardt Frau und Tochter einen kleinen Umweg an. Dass dieser eine wahre Odyssee von rund 15 Stunden in eine unwirtliche Gegend auslöste, ist heute noch in den Familienannalen festgeschrieben. Die Sendeanlage bestand aus drei waschmaschinengroßen Sendern, die neben Frau, Tochter und großem Gepäck im und auf dem Dach des Autos verstaut werden musste. Die Rückfahrt im überladenen Opel auf alter DDR-Autobahn im Schritttempo gestaltete sich äußerst langwierig unter permanenten Misstönen der Passagiere.

Das Jahr 1997 war schnell vorbei, es war aber noch viel zu tun, wie der Umbau des Senders oder einen Schiffseigner in den Niederlanden zu finden, der sich auf solch ein Abenteuer einließ. Der für 1998 avisierte Termin musste wegen akuter Sturmwarnung verschoben werden. Schließlich stachen die Radiomacher Ostern 1999 vom niederländischen Scheveningen in See. Der Aufbau der Sendeanlagen, des Studios und der Antenne erfolgten außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone.

„Offshore 98“ konnte dann am Karfreitag 1999 den Sendebetrieb aufnehmen, auf Kurzwelle 6210, Mittelwelle 1566 und Langwelle 279 Kilohertz. Problemlos lief das auch nicht ab, so Leonhardt. Bei rauer See wurde es so mancher Landratte übel, eine Antenne riss, Störprobleme, die Spule des Mittelwellensenders löste sich in einer Rauchwolke auf. Letzten Endes wurden aber 50 Stunden Programm fast am Stück von hoher See gesendet. Ein flottes Musikprogramm mit eigens produzierten Jingles und Live-Berichterstattung vom Deck des Schiffes ging in den Äther. Am Ostermontag ist die Mannschaft wieder heil im Hafen eingelaufen. Mit einem Augenzwinkern meint Frank Leonhardt: „Die Krönung wäre jetzt gewesen, bei der Rückkehr von der niederländischen Polizei empfangen zu werden. Den Gefallen haben sie uns aber nicht gemacht.“

Das Offenburger Postfach 2209 quoll in den Folgetagen über, mehrere hundert Empfangsberichte aus ganz Europa von Portugal bis zur Ukraine bestätigten den Empfang in vielen Teilen des Kontinents. Der Sender steht heute übrigens im neuen Technikmuseum "TEMOpolis", dessen Mitinitiator Leonhardt ist, und das demnächst in Ohlsbach Eröffnung feiern wird.

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