Frank Wellhöner über die Verbreitung von Luthers Thesen
Wie die Reformation in der Ortenau Fuß fasste

Bei der Auflösung des Gengenbacher Klosters zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde ein Exemplar des Katechismus aus dem Jahr 1545 im Klosterarchiv gefunden, ein seltenes Zeitdokument, das an die Reformation erinnert. | Foto: Katholische Kirchengemeinde Gengenbach
  • Bei der Auflösung des Gengenbacher Klosters zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde ein Exemplar des Katechismus aus dem Jahr 1545 im Klosterarchiv gefunden, ein seltenes Zeitdokument, das an die Reformation erinnert.
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Offenburg (dh). 500 Jahre Reformation wird in diesem Jahr gefeiert. Der Reformationstag am Dienstag wurde deshalb sogar zum einmaligen Feiertag erhoben. "Die Reformation als solche ist kein einheitliches Gebilde gewesen. Auf deutschem Boden gab es mindestens 113 Reformatoren. Es gab nicht nur Martin Luther, er hat die Reformation aber sicherlich angestoßen", sagt Frank Wellhöner, evangelischer Dekan in der Ortenau.

"Rund 100 Jahre vor der Reformation, in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, gab es Konzilien in Basel und Konstanz, wo auch eine Reformation von Kardinälen und Bischöfen angemahnt wurde. Das ist damals aus päpstlicher Interessenpolitik gescheitert." Es gab John Wyclif, Jan Huss, die französischen Waldenser in der Region Lyon und andere, die sich schon vor Luther kritisch mit der Kirche auseinandergesetzt hatten. Ideen von ihnen waren auch in Luthers Thesen zu finden, weshalb sie Vorreformatoren genannt werden.

"Eine für die Reformation wichtige Erfindung war die Drucktechnik von Johannes Gutenberg. Mit unseren heutigen Möglichkeiten mögen wir darüber vielleicht lächeln, doch Luthers Thesen wurden mit dieser technischen Hilfe innerhalb von zwei Wochen im ganzen deutschen Raum bekannt", so Wellhöner.

"Die Reformation hier bei uns, muss man größer gefasst sehen, als nur in der Ortenau, vielmehr als Reformation zwischen Mainz und Basel. Das geistige und weltliche Zentrum in unserem Umfeld war damals Straßburg", führt Wellhöner aus. Die Reformation im Südwesten nahm an Fahrt auf, als Martin Luther im April 1518 nach Heidelberg musste, um dort seine Thesen zu erklären. Die Heidelberger Disputation war ein im April 1518 von Martin Luther geleitetes wissenschaftliches Streitgespräch in der Heidelberger Universität. Für die Ausbreitung von Luthers Lehre im südwestdeutschen Raum hatte sie große Bedeutung. Die verschiedenen Orden hatten unter anderem ihre wissenschaftlichen Forscher und Gelehrten nach Heidelberg entsandt.

Bei dieser Disputation gewann Luther viele Anhänger, besonders unter den Studenten, weniger bei den Professoren. "Luther stellte die Theologie des Kreuzes in den Mittelpunkt und dass Jesus für die Menschen gelitten hat. Damals war in der Theologie aber die Herrlichkeit Gottes im Mittelpunkt. Die Theologie des Kreuzes geht auf den Apostel Paulus zurück, wurde von Luther wiederentdeckt und er hat die Menschen damit überzeugt", sagt Frank Wellhöner. Spätere Reformatoren wie Martin Bucer, Erhard Schnepf, Franciscus Irenicus, Martin Frecht und Johannes Brenz waren unter seinen Zuhörern.

"Zwei künftig wichtige Reformatoren für unsere Gegend trafen auf Luther: Johannes Brenz und Martin Bucer. Letzterer hatte seine Wurzeln in Sélestat und Straßburg. Sélestat hatte damals eine bedeutende Lateinschule, 800 Einwohnern stand die Zahl von 900 Schülern gegenüber", erklärt der Dekan. Über Weißenburg kam Martin Bucer wieder nach Straßburg und hat dort zusammen mit Mathias Zell und Wolfgang Capito sowie dem Rat der Stadt in Straßburg in den Jahren 1523/1524 die Reformation eingeführt. Bucer ist es auch gewesen, der 1545 auf Bitten von Graf Philipp IV. eine Reformationsordnung für das Hanauer Land ausarbeitete. Johannes Brenz war Reformator der Reichsstadt Schwäbisch Hall und Teilen Württembergs.

Straßburg war bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine reiche und wichtige Handelsstadt und somit auch mit den anderen Reichsstädten in der Ortenau verbunden. "Die Räte fühlten sich dem Heil der Stadt verpflichtet. Über 50 Prozent der Einwohner waren arm, lebten überwiegend oder ausschließlich vom Betteln und vom Diebstahl. Gleichzeitig war die Stimmung bei den Patriziern, den Kaufleuten und den Handwerkern durchaus kritisch gegenüber dem Klerus. Satiriker wie Sebastian Brant ("Das Narrenschiff") konnten sich frei äußern und mit Geiler von Kaysersberg gab es einen begnadeten Prediger. Die Reformation fiel somit auf fruchtbaren Boden", so der Dekan aus Offenburg. In Zell am Harmersbach, aber auch in Offenburg war der Einfluss der Klöster sehr groß. Die Reformation fand 1526 zusammen mit dem Rat der Stadt in Gengenbach durch den Leutpriester Konrad Knecht statt, der sich Conradis Cervitoris nannte. Dieser legte sich mit den Benediktinern an und ermöglichte 1538 die erste evangelische Kirchenordnung. Sein Nachfolger Thomas Lindner hat 1545, wahrscheinlich mit zwei weiteren Predigern, die unter dem Einfluss von Martin Bucer standen, den Gengenbacher Katechismus eingeführt.

Bucer und ein weiterer Straßburger Reformator, Caspar Hedio, haben mit ihrem Wirken bis ins Kinzigtal ausgestrahlt. "Im oberen Kinzigtal muss man sich das Jahr 1534 merken. Schiltach gehörte zum Herzogtum Württemberg, ebenso wie Gutach, Kirnbach Reichenbach und Hornberg. Der Herzog führte am ersten Weihnachtsfeiertag 1534 die Reformation auch in diesen Städten und Gemeinden ein. Treibende geistige Kraft ist Ambrosius Blarer gewesen, der Mitreformator von Konstanz. Blarer war als junger Benediktinermönch in Alpirsbach gewesen. Über seinen Bruder Thomas, der Luther kannte, lernte er dessen Gedankengut kennen. Thomas Blarer hatte in Wittenberg an der Universität von Friedrich dem Weißen Lesungen von Luther und dem Brettener Philipp Melanchthon besucht. Melanchthon hat alles in theologische Strukturen gebracht", erklärt Wellhöner. "Für eine friedliche Koexistenz von Luthertum und Katholizismus sorgte 1555 fürs erste der Augsburger Religionsfrieden. Hier wurde erstmals erlaubt, dass Menschen aus Glaubensgründen ihr Territorium verlassen durften." Doch das ist eine andere Geschichte.

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