Spinnerei-Wohnungen: Mieter warten auf Urteil

Auf dem Mühlbach-Areal wehren sich rund 30 Mieter juristisch gegen die Räumungsklage. | Foto: rek
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Offenburg. Mit der Bekanntgabe des Ergebnisses des Architektenwettbewerbs für das Mühlbach-Areal (wir berichteten) ist ein weiterer Schritt für das neue Wohnquartier getan. Aber: Was passiert mit den Menschen, die in den Wohnungen der alten Spinnerei noch
immer leben? Seit fast zwei Jahren läuft das Verfahren zwischen den
noch verbliebenen rund 30 Familien, die dort weiterhin wohnen, und der
HOS als Vermieterin – inzwischen ehemalige Besitzerin der Spinnerei und
des gesamten Areals. Im Rahmen der Räumungsklage warten die Beteiligten
auf ein vom Amtsgericht in Auftrag gegebenes Gutachten.

Nach Ansicht der HOS besteht die „Unmöglichkeit einer angemessenen
wirtschaftlichen Verwertung“, so die Rechtsanwälte der Mieter. „Für
unsere Mandanten geht es um das Dach über dem Kopf“, macht Ulrich Mehler
die Brisanz deutlich. Die Kanzlei Hirt, Valdés und Kollegen, für die
Mehler arbeitet, vertritt 25 der Familien. Zum Teil wohnten sie in den
Wohnungen seit über vier Jahrzehnten, viele seien Ausländer, viele mit
türkischen Wurzeln. An eine Mieterhöhung nach Renovierung oder Sanierung
kann Mehler sich nicht erinnern. Daher hätten die Mieter selbst Hand
angelegt, saniert oder umgebaut – etwa den Zugang zur Toilette vom
Balkon in die Wohnung verlegt oder duschen eingebaut.

Angeboten worden sei den Bewohnern, dass sie eine Umzugsbeihilfe von maximal 1500
Euro gegen Vorlage von Belegen bekämen. Weitere 1500 Euro sind möglich,
wenn sie zur Wohnungssuche weder die städtische Wohnbau noch die
genossenschaftliche Gemibau kontaktieren würden. Das sei alles, für
Rechtsanwalt Mehler damit zu wenig. In Offenburg gebe es keinen
vergleichbar günstigen Wohnraum mehr, auf den die Mieter vielfach
finanziell aber angewiesen seien. Etwas mehr als einen Euro beträgt die
Miete pro Quadratmeter in den Wohnungen direkt an der
Wilhelm-Bauer-Straße.

Östlich der Wohnungen ist ein neuer Kindergarten gebaut, die Villa Bauer saniert worden, nördlich ist das Areal zur Brache für das neue Quartier geworden, im Süden entstehen auf
dem Gelände der alten Burda-Druckerei ein Gesundheitszentrum, Wohnungen
und Bürogebäude. Mittendrin sind die unter Denkmalschutz stehenden rund
80 Wohnungen, die saniert werden sollen. Entstanden sind die Wohnungen
Ende des 19. Jahrhunderts als Unterkünfte für Arbeiter der Spinnerei.
Nach der jetzt angekündigten Sanierung der Wohnungen werde die Miete
etwa um das Sechs- bis Siebenfache steigen, rechnen Experten. Viele der
Bewohner könnten sich damit ihre alten Wohnungen nicht mehr leisten.

Auf ein Angebot für einen alternativen Wohnraum durch die HOS warten die
Mieter seit der Kündigung vergebens, so Mehler. Im Laufe des nächsten
Jahres soll das Gutachten vorliegen. Dann entscheidet das Amtsgericht in
einem Musterprozess, ob die Kündigungen rechtens sind. Alle anderen
Verfahren ruhen solange. Dies bestätigte auch die Kanzlei Görhardt und
Kohlmorgen, die die HOS als Klägerin vor dem Amtsgericht vertritt.

Für Mehler bleibt die Rolle der Stadt in dem Verfahren undurchsichtig:
Warum zahlt die Stadt die „Umzugsbeihilfe“, wenn der Mietvertrag doch
zwischen HOS und Bewohnern abgeschlossen ist?, fragt er sich. „Wir haben
eine Gegenrechnung aufgemacht“, erklärt Mehler: Für Möbel, Küchenzeile,
Umzug und ein befristetes kostenloses Wohnen in der neuen Wohnung
erfordere eine Entschädigung von 20.000 Euro, so die Forderung der
Mieter-Anwälte.

Autor: Rembert Graf Kerssenbrock

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