Zahl der Bürgerentscheide nimmt zu
Einzelinteressen nicht im Fokus

Im vergangenen Jahr ging es in einem Bürgerentscheid in Oberkirch um die Fußgängerzone. | Foto: Foto: Ulrich Reich
  • Im vergangenen Jahr ging es in einem Bürgerentscheid in Oberkirch um die Fußgängerzone.
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Ortenau (ds). Meist sind es neue Baugebiete, an denen sich die Geister scheiden, aber auch exotischere Themen, wie etwa nächtliches Glockengeläut oder Betreuungsformen im Kindergarten, waren bereits Gegenstand von Bürgerentscheiden. Spätestens seit Stuttgart 21 ist die Form der direkten Demokratie in den Köpfen der Bürger verankert. Auch in der Ortenau scheint man auf den Geschmack gekommen zu sein, allein in diesem Jahr sind es bereits vier Bürgerentscheide.

Während die Ringsheimer Ende Juni über den Standort des neuen Feuerwehrhauses abgestimmt haben und das Verfahren nicht im Sinne des Begehrens abgeschlossen wurde, werden am 1. August nun die Ettenheimer zur Wahlurne gerufen. Dort geht es darum, ob die Stadt auf der Badwiese in Ettenheimmünster eine Wohnbebauung realisieren kann. In Willstätt wurde ein Begehren gegen den Bau eines Discounters eingereicht, in Gengenbach eine Unterschriftensammlung gegen die Nutzung des städtischen Vorkaufsrechts an der Reichenbacher Turbinenstation gestartet.

Zahl nimmt zu

"Die Zahl der Bürgerentscheide nimmt zu", weiß Prof. Dr. Jürgen Fleckenstein von der Hochschule Kehl. Das liege unter anderem daran, dass der Gesetzgeber 2015 die Hürden für die Durchführung eines Bürgerentscheids gesenkt habe. "So müssen beispielsweise nur sieben statt zuvor zehn Prozent der Bürger das Bürgerbegehren unterzeichnen", erläutert Fleckenstein. Außerdem sei es mit den sozialen Medien heute leichter, Mitstreiter zu mobilisieren. Prinzipiell findet der Jurist Bürgerentscheide sinnvoll, sofern es um wichtige Entscheidungen geht, die die gesamte Bürgerschaft betreffen, keinesfalls dürfe es aber darum gehen, Einzelinteressen durchzusetzen. "Wichtig ist, dass hier das richtige Maß gefunden wird", betont Jürgen Fleckenstein. Das sei Aufgabe des Gesetzgebers, der die Rahmenbedingungen für die Durchführung von Bürgerentscheiden festlege. "Bürgerentscheide sollten nicht überhand nehmen", so der Hochschul-Professor. Schließlich sei der Gemeinderat gewählt, um repräsentativ die Interessen der Bürger zu vertreten. "Es kann zu Frust führen, wenn das Gremium merkt, dass ihm zunehmend Entscheidungen weggenommen werden", gibt Fleckenstein zu bedenken. Allerdings könne auch der Gemeinderat selbst mit einer Zweidrittel-Mehrheit Entscheidungen auf den Bürger übertragen. "Das war etwa beim SC-Stadion in Freiburg so oder in Rheinau, als es um die zentrale Trinkwasserentkalkungsanlage ging", berichtet er.

Ein Bürgerentscheid gilt dann als entschieden, wenn mindestens 20 Prozent aller Stimmberechtigten mit Ja oder Nein gestimmt haben. "Ist das nicht der Fall, ist es der Super-Gau. Dann war der ganze Aufwand für die Durchführung des Bürgerentscheids umsonst und die Angelegenheit muss im Gemeinderat endgültig entschieden werden", erläutert Fleckenstein. Natürlich müsse das demokratische Votum von allen am Bürgerentscheid Beteiligten akzeptiert werden. "Im Allgemeinen bleiben die Gräben, die eine solche Angelegenheit aufwirft, aber bestehen", weiß Jürgen Fleckenstein. Das habe vor allem mit der Ja-Nein-Fragestellung zu tun. "Deswegen ist im neuen Koalitionsvertrag der Landesregierung festgehalten, dass etwa durch Runde Tische oder andere Dialogverfahren Kompromisse gefunden werden sollen, bevor durch einen Bürgerentscheid Gräben entstehen", so Fleckenstein. Das Ergebnis eines Bürgerentscheids ist verbindlich und einer Entscheidung des Gemeinderats gleichgestellt. Dieser ist dann auch drei Jahre lang daran gebunden und kann sich erst nach dieser Frist wieder mit der gleichen Angelegenheit befassen.

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