BVDA-Aktion: "Das geht uns alle an"
Gibt es genug Hausärzte in der Ortenau?

Einen Termin bei einem Hausarzt zu bekommen, ist nicht immer leicht. | Foto: Symbolfoto: AOK Mediendienst
  • Einen Termin bei einem Hausarzt zu bekommen, ist nicht immer leicht.
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Ortenau (mak). In Deutschland wird vielfach ein Mangel in der hausärztlichen Versorgung beklagt – vor allem im ländlichen Raum. Aber auch viele Neuankömmlinge, beispielsweise in Offenburg, tun sich nach eigener Aussage schwer, einen Hausarzt zu finden. Ist dies nur ein gefühltes Problem oder gibt es tatsächlich Engpässe in der Versorgung?

Die Anzahl der Haus- und Facharztpraxen für eine bestimmte Region wird nach einer bundesweit einheitlichen Systematik, die sich nach dem Arzt-Einwohnerverhältnis richtet, festgelegt. „Die Verteilung erfolgt über sogenannte Mittelbereiche, wovon es im Ortenaukreis fünf gibt: Achern, Kehl, Offenburg, Lahr und Haslach/Hausach/Wolfach. Für jeden Mittelbereich wird eine Verhältniszahl errechnet und ist diese erreicht, bedeutet dies eine hundertprozentige Versorgung“, erklärt Dr. Doris Reinhardt, Allgemeinmedizinerin und unter anderem im Beirat in der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) Südbaden. Die Mittelbereiche seien aber trotzdem so großräumig, dass es durchaus Orte gibt, in denen keine Ärzte vor Ort seien.

Keine Unterversorgung in der Ortenau

In 2019 kamen im Ortenaukreis laut Bericht "Die ambulante medizinische Versorgung 2019" der KVBW 1.502 Einwohner auf einen Hausarzt. Besonders betroffene Bereiche in der Ortenau, die nicht auf einen Versorgungsgrad von 100 Prozent kommen, sind Kehl mit 86,2 Prozent und Haslach/Hausach/Wolfach mit 99 Prozent. Die anderen Mittelbereiche kommen auf 110 Prozent, so der Stand der Bedarfsplanung der KVBW vom Februar 2020. „Konkret bedeutet dies in Kehl eine Niederlassungsmöglichkeit für 3,5 Ärzte und für das Kinzigtal ab Hausach für drei Ärzte“, erklärt Reinhardt. Von Unterversorgung könne hierbei aber nicht gesprochen werden. Diese liege erst vor, wenn der Versorgungsgrad 75 Prozent unterschreite.

Für das besonders ländlich geprägte Kinzigtal sei vor allem die hausärztliche Situation in Hornberg angespannt. „Ende des vergangenen Jahres hat dort eine Doppelpraxis ihre Arbeit aufgegeben und die noch bestehende Praxis mit drei Ärzten musste diesen Mangel verwalten“, erklärt Dr. Dörte Tillack, Internistin und Vorsitzende des Medizinischen Qualitätsnetzes Ärzteinitiative Kinzigtal (MQNK), das Teilhaber des Netzwerks Gesundes Kinzigtal ist. Im übrigen Kinzigtal sei die Lage zum jetzigen Zeitpunkt als gut anzusehen. Ein aktuelles Problem sei, dass die Hausärzte vor Ort auch Anfragen zur Aufnahme von Kindern bekämen, da ein Arzt aus Lahr seine Praxis schließe. „Die kinderärztlichen Kollegen haben in ihren Praxen auch gut zu tun und insofern kulminiert das Ganze in den Hausarztpraxen“, erklärt Tillack.

Sie kann aber auch über erfreuliche Entwicklungen im Kinzigtal berichten, denn sowohl in Gutach als auch in Steinach seien junge hausärztliche Kollegen gefunden worden, die eine Praxis übernommen oder sich neu niedergelassen haben.
Würde sich die hausärztliche Versorgung im ländlichen Raum verschlechtern, müssten sich die Patienten auf längere Anfahrtswege einstellen. Dennoch bedeute eine flächendeckende, wohnortnahe hausärztliche Versorgung nicht, dass in jedem Dorf eine Hausarztpraxis sei, macht Reinhardt deutlich: „Für Patienten und Praxisteams sind gut erreichbare Strukturen aber auch im ländlichen Raum möglich.“ Kollegin Tillack ergänzt dazu, dass es sicher auch mehr telefonische oder telemedizinische Beratung geben werde: „Das erfordert aber eine gute Internetverbindung und das ist Aufgabe der Politik.“

Work-Life-Balance ist wichtig

Auch wenn statistisch gesehen nicht von Unterversorgung gesprochen werden kann, ist vor allem ein Problem absehbar. „Ärzte gehen in den Ruhestand, und es fehlt an Nachwuchs. Mehr als 1.300 Hausärzte in Baden-Württemberg sind älter als 65 Jahre und längst nicht für jede Praxis ist ein Nachfolger in Sicht“, schreibt die KVBW in ihrem Versorgungsbericht. Im Ortenaukreis liegt der Anteil der Hausärzte, die über 60 Jahre alt sind, bei 39 Prozent. Das gemeinsame Ziel der KVBW sei es, Mediziner dafür zu begeistern, im „Ländle“ zu leben und sich dort niederzulassen, heißt es im Bericht zur ambulanten medizinischen Versorgung weiter.

Dr. Dörte Tillack sieht diese Problematik auch für das Kinzigtal. „In den nächsten fünf Jahren werden einige Ärzte, beispielsweise in Zell, das Rentenalter erreichen und ihre Praxis schließen, in Haslach betrifft das ein bis zwei Praxen und auch in Hornberg sind die Kollegen in der dort ansässigen Praxis an der Altersgrenze“, führt sie aus.
Wo sich Ärzte niederlassen, hängt von vielen Faktoren ab. „Der Lebensort orientiert sich heute an dem Bedarf der gesamten Familie“, sagt Dr. Doris Reinhardt. Und weiter: „Der Begriff Work-Life-Integration trifft das ganz gut. Familie, Freizeit und Beruf gilt es unter einen Hut zu bekommen und das für alle gleichermaßen.“ Da könne der ländliche Raum durchaus für alle passen, müsse es aber nicht. Entscheidende Faktoren seien aber auch das Angebot von Schulen, öffentlicher Personennahverkehr sowie die kulturellen Möglichkeiten und die Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen, so die Medizinerin weiter.

Förderung der Niederlassung von Ärzten

Um die Niederlassung von Ärzten weiter zu fördern, biete beispielsweise das Gesunde Kinzigtal zusammen mit Leistungspartnerpraxen und dem Ortenauklinikum einen Weiterbildungsverbund an, wodurch die in Weiterbildung befindlichen Kollegen mitfinanziert würden, erklärt Tillack. „Allerdings möchten wir natürlich auch, dass das Netzwerk davon profitiert, was bedeutet, dass die aktive Teilnahme an Veranstaltungen zur regionalen Versorgung gewünscht ist“, so die Medizinerin weiter. Darüber hinaus gebe es Überlegungen, Ärzten die Anstellung zu ermöglichen, die sich eine Niederlassung nicht zutrauen oder lieber in Teilzeit arbeiten würden. „Diese Option birgt aber noch organisatorische und finanzielle Hindernisse, die gestemmt werden müssen“, sagt Tillack.

Die finanzielle Förderung der Weiterbildung im Bereich Allgemeinmedizin ist auch bei der KVBW ein Thema. „Dies gewährleistet den Ärzten in Weiterbildung das gleiche Tarifgehalt in der ambulanten Weiterbildung wie in der Klinik. Weiterbildung ist auch in Teilzeit möglich, was für viele Ärzte eine gute Lösung ist“, erklärt Reinhardt. Hilfreich sei auch der Wegfall der Residenzpflicht gewesen, was es Medizinern ermögliche, in der Stadt zu wohnen und eine Praxis auf dem Land zu betreiben. Wie wichtig die hausärztliche Versorgungsstruktur sei, habe die Corona-Pandemie gezeigt. "Acht von zehn infizierten Patienten wurden von Hausärzten in Praxen und Pflegeheimen behandelt, sie haben die vielen zusätzlichen Abstriche organisiert und durchgeführt. Die ambulante Versorgungsstruktur war ein entscheidender Faktor, dass wir so gut durch diese erste Welle gekommen sind", so Reinhardt.

Um Hausärzte zu entlasten, können aber auch die Kommunen etwas tun. „Medizinische Versorgung ist ein wichtiger Faktor der Infrastruktur“, sagt Tillack. Dies sei auch bei einzelnen Gemeinden schon ins Bewusstsein getreten, „allerdings darf die Ansprache der tätigen hausärztlichen Praxen offensiver sein.“ Es gebe aber auch ganz andere Bereiche, in denen etwas getan werden könne. „Wir müssen systemischer denken: Förderung der nichtärztlichen Berufe, betriebsmedizinische Angebote, Gesundheitslotsen, soziale Unterstützung, Ernährung, Pflege und Mobilität. Um zu entscheiden, was welche Priorität hat, braucht es Gespräche und eine Organisation wie das Gesunde Kinzigtal, die hierbei unterstützen kann“, erklärt sie abschließend.

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