Kurt S. Maier. Erinnern an eine „unerwünschte“ Kindheit

Ort der Erinnerung für Kurt Maier – die ehemalige Synagoge in Kippenheim. Am 8. Mai 2010 erhielt er den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg.  | Foto: Foto: Michael Bode
  • Ort der Erinnerung für Kurt Maier – die ehemalige Synagoge in Kippenheim. Am 8. Mai 2010 erhielt er den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg.
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„In meiner Erinnerung war es Nacht, als wir abgeholt wurden“, sagt Dr. Kurt Salomon Maier und blickt auf die
Fotografie, die zeigt wie der damals Zehnjährige und seine Familie am
22. Oktober 1940 in der Kippenheimer Querstraße mit dem Laster abgeholt
wurden, um über Offenburg ins Internierungslager Gurs deportiert zu
werden. Auf dem Bild ist es Tag.

Maier ist einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen der Naziverbrechen. „Die Schüler sind sehr
interessiert an Bildern“, erklärt Maier, wie er seine
Kindheitserinnerungen vermittelt. Seit über 20 Jahren ist er einmal pro
Jahr in der Region um über seine Erfahrungen zu berichten. Jeden Tag an
einer anderen Schule. Vergangene Woche haben Schüler des Lahrer
Max-Planck-Gymnasiums seine Erinnerung, die er 2011 im Buch
„Unerwünscht: Kindheits- und Jugenderinnerungen eines jüdischen
Kippenheimers“ niedergeschrieben hat, als Theaterstück aufgeführt.

Am kommenden Samstag wird Maier 83 Jahre alt und arbeitet noch immer in
der Abteilung für deutsche Geschichte und Literatur der „Library of
Congress“ in Washington. Als jüngster Sohn des Stoffhändlers Siegfried
und Charlotte Maier geborene Auerbacher wird er am 4. Mai 1930 in
Kippenheim geboren. In seinem Erzählen ist keine Bitterkeit. „Wir haben
Kippenheim mit nach New York genommen. Wenn meine Mutter wissen wollte,
wie weit etwas in New York entfernt lag, habe ich es ihr im
‚Kippenheimer Maß‘ erklärt. ‚Des isch so weit wie vun de Querstroß zum
Stockbrunne.‘“

Das Alemannische beherrscht er noch immer. Auch an das jüdische Kippenheim erinnert er sich gut. An der Metzgerei in der
Poststraße kann man den Schriftzug „Badischer Hof“ lesen – „Das war die
jüdische Metzgerei. Dort gab es ‚Bachhopser‘, Würstle benannt nach den
jüdischen Kindern, die nach dem Synagogengottesdienst auf die Eltern
warteten und sich die Zeit mit ‚bachhopsen‘ vertrieben.“

Viele Siegfrieds habe es gegeben in seiner Familie. Gute Staatsbürger hätten
sie sein wollen. Aber das war bei den Nationalsozialisten nicht denkbar.
Die Repressalien des Dritten Reichs sind Maier tief eingeprägt. „Juden
durften keine Haustiere haben, keine Autos, Radios und in der Schule
wurden Spiele wie ,Juden raus!‘ gespielt – eine Art ‚Mensch, ärgere dich
nicht‘.“ Die Reichspogromnacht hat er zusammen mit seiner Mutter unter
einer Emaille-Badewanne kauernd verbracht, Schutz suchend vor den
Steinwürfen der johlenden Hitler-Jugend aus Lahr.

Aber auch die gegenseitige Hilfe unter den Kippenheimern betont Maier. Als sich später
nachts ein Einbrecher Zutritt zum Haus durch die eingeschmissenen
Fenster verschafft hatte, rief seine Mutter um Hilfe und der Nachbar
Emil half. Die Volksschule mussten er und sein Bruder Heinz 1938
verlassen. Fortan gingen sie auf die jüdische Schule in Freiburg. Von
dort wurden die Brüder auch am 22. Oktober 1940 von einem Taxi abgeholt,
dass die Eltern geschickt hatten, in der Hoffnung nicht getrennt zu
werden.

Im Frühjahr 1941 konnte die Familie Maier – bis auf seinen Großvater, der im Lager starb – dank eines Visums Gurs verlassen.
Über Marseille und Casablanca kamen sie dann nach New York. „Mein Vater
hatte unsere Möbel noch zu Danzas in die Schweiz bringen lassen.“ Nach
dem Krieg konnten sie das Mobiliar für teures Geld nach Amerika holen.
„Ich schlafe noch heute auf dem Kippenheimer Kopfkissen meiner Mutter
mit ihren Initialen– CA.“ Schon in seiner Militärzeit 1952 bis 1954 in
Baumholder im Hunsrück, kehrte er nach Kippenheim zurück.

Mittlerweile ist er einmal pro Jahr in ganz Baden unterwegs und erzählt die
unzähligen Geschichten aus seiner Kippenheimer Zeit. Mit dieser
eindrucksvollen Arbeit hält er die Geschichte des jüdischen des Ortes am
Leben und begeistert und informiert die Jugendlichen. Am 7. Mai spricht
er als Zeitzeuge mit dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang
Thierse bei einer Gedenkveranstaltung am Holocaust-Mahnmal in Berlin.
„Wir sind die Letzten, die diese Zeit kennen. Dann hört es auf.“

Autor: Matthias Stenzel

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