30 Jahre Naturschutz Sundheimer Grund
Ein komplexes Biotop am Altrhein
- Begehung des Sundheimer Grunds
- Foto: Stadt Kehl
- hochgeladen von Christina Großheim
Kehl (st) Rot leuchten die Äpfel an den in Reihen ausgerichteten Bäumchen und stehen in perfektem Kontrast zur kurz gemähten sattgrünen Wiese darunter. Doch was anmutet wie ein gepflegter Hausgarten ist keine Fläche, auf der sich seltene Tier- und Pflanzenarten ansiedeln. Dass wilde und unaufgeräumte Bereiche mit mehr als kniehohem Bewuchs, abgestorbenen Sträuchern und anderem Totholz für die Biodiversität viel wertvoller sind, verdeutlichten die städtischen Umweltbeauftragten und der Gebietsbetreuer Oliver Schmidle vom Regierungspräsidium Freiburg Stadträten, Vertretern der Bürgerinitiative Umweltschutz, des Naturschutzbundes (NABU) und des Obst- und Gartenbauvereins bei einem ausgedehnten Spaziergang durch den Sundheimer Grund.
„Rund 30 Jahre ist es her, dass das Regierungspräsidium Freiburg in Absprache mit der Stadt Kehl die den Altrheinzug im Sundheimer Grund begleitenden Flächen unter Naturschutz gestellt hat“, erklärte Oliver Schmidle laut einer Pressemitteilung der Stadt Kehl. Dieser 21 Hektar große Bereich genießt somit den höchsten Schutzstatus der verschiedenen Bereiche des Sundheimer Grunds. Im Naturschutzgebiet sind Eingriffe verboten, welche die geschützten Arten und Biotope beeinträchtigen.
Ungestörte Entwicklung
Das Naturschutzgebiet ist umgeben von einem Landschaftsschutzgebiet. Damit kann es sich ungestörter entwickeln, weil der große, lange Altrheinarm in die umliegenden Flächen ebenso ausstrahlt, wie diese in ihn hineinwirken, erläuterte Oliver Schmidle: „Die Übergänge vom Fluss zum Land sind sehr großzügig; diese Bereiche bieten daher für unzählige geschützte Tier- und Pflanzenarten einen wichtigen Lebensraum.“ Vor dem Hintergrund, dass in Baden-Württemberg inzwischen 40 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten gefährdet sind, kommen dem Natur- und Landschaftsschutzgebiet eine sehr hohe Bedeutung zu.
Aber nicht nur diesen: Während der Sundheimer Grund für die meisten Kehler vor allem für Streuobstwiesen steht, ist es für die Artenvielfalt wichtig, „dass sich auch Acker- und Wiesenbrachen entwickeln“, wie Umweltbeauftragter Gregor Koschate der Gruppe erklärte: „Auch der Gehölzstreifen und die Streuwiese sind wichtige Biotope.“ Weil die feuchte Streuwiese ökonomisch von jeher unbedeutend war, weil – wie der Name schon sagt – das Mähgut nur als Einstreu für die Tiere verwendet werden konnte, verschwand diese immer mehr aus dem Landschaftsbild. Die wenigen noch erhaltenen Streuwiesen bilden ein Refugium für Pflanzen, die nur zur Blüte kommen, weil die Wiese bloß einmal im Jahr gemäht wird.
Seltene Arten
Ihnen folgen Insekten, denen die Blumen Nahrung bieten, also selten gewordene Schmetterlinge, wie der Argus-Bläuling, der dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling, das Blutströpfchen oder Schrecken wie das Grüne Heupferd oder die Sumpfschrecke. Auch das Fleischfarbene Knabenkraut, eine seltene Orchideenart, oder der Kantenlauch und der Teufels-Abbiss sowie das Pfeifengras finden sich nur auf diesen extensiv genutzten Mähwiesen. Seinen Namen bekam das Pfeifengras, weil die knotenfreien Stängel tatsächlich zum Reinigen von Pfeifen genutzt wurden, wie Oliver Schmidle zu berichten wusste. Streuwiesen, die wie die im Sundheimer Grund in Obhut des Regierungspräsidiums stehenden, werden in der Regel nur im Herbst gemäht. Diese Arbeit wird unter anderem auch vom NABU Kehl übernommen.
Aber auch Röhricht und Brachen mit Totholz sind Rückzugs- und Entwicklungsgebiete für Lebewesen, deren Lebensräume in den vergangenen Jahrzehnten durch Siedlungsentwicklung, Straßenbau und Landwirtschaft immer kleiner wurden. Deswegen steht für die Stadt die Förderung der Artenvielfalt im Vordergrund. Die Flächen, welche die Stadt von Pächtern im Sundheimer Grund zurückbekommt, werden daher in deutlich geringerem Umfang gepflegt. „Auch wilde Natur kann schön sein“, versuchte Umweltbeauftragter Michael Faller dafür zu sensibilisieren, dass Schönheit im Auge und der Gewohnheit des Betrachters liegt.
Biodiversität
Auch die Streuobstbäume werden im Auftrag der Stadt nicht nach Schönheits- oder Ertragskriterien geschnitten. Im Gegensatz zu Pächtern gehe es der Stadt nicht um eine möglichst gute Obsternte, führte Michael Faller weiter aus. Wichtiger sei auch hierbei die Funktion der Bäume für die Biodiversität: Die Blüten und Blätter böten Nahrung für Schmetterlingsraupen und andere Insekten. Darüber hinaus können sich bei Astabbrüchen oder starken Rückschnitten Baumhöhlen entwickeln. Sie würden nicht nur von Spechten erweitert und bewohnt, sondern auch von Nachnutzern wie beispielsweise dem Eremiten, einem sehr seltenen Käfer, der oftmals unentdeckt in Streuobstwiesen wohne. Während ein Pächter seine Obstbäume möglichst lange erhalten und damit Wunden vermeiden wolle, seien gerade diese Höhlen für die Biodiversität besonders wertvoll. Darüber hinaus bieten Streuobstwiesen all denjenigen Lebewesen einen Lebensraum, die in den früher üblichen Übergangszonen von Wäldern zu Weidelandschaften zu Hause waren. Durch die heute praktizierte klare Trennung von Wald und Weide seien diese in die Streuobstwiesen verdrängt worden, zu deren Erhalt im Sundheimer Grund der Obst- und Gartenbauverein maßgeblich beiträgt.
Weil die aktuell als Weiden zur Verfügung stehenden Flächen im Sundheimer Grund sehr klein sind, lässt das Regierungspräsidium diese nur wenige Wochen im Jahr von Rindern und Ziegen beweiden und damit pflegen. Während Rinder sich an den Gräsern gütlich tun, tragen die Ziegen, die eine Vorliebe für Brombeeren haben, dazu bei, dass Gehölzstreifen nicht ausufern und Flächen überwuchern. Um die Obstbäume vor den Ziegen zu schützen, werden deren Stämme nach und nach mit Baumschutzmanschetten gesichert.
Beweidung
2011 hat das Regierungspräsidium mit der Beweidung von Flächen im Sundheimer Grund begonnen und kümmert sich bis heute darum. Erst Ende 2024 wurde eine neue Fläche von zwei Hektar in die Beweidung aufgenommen. Bevor Rinder und Ziegen jedoch mit ihrer Naturschutzarbeit beginnen konnten, galt es die Fläche tiergerecht vorzubereiten. Ein Schuppen musste abgerissen und der Unrat (unter anderem Stacheldraht) entfernt werden, welcher der einstige Pächter hinterlassen hatte. Die Kosten dafür trug das Regierungspräsidium.
Die Weidetiere pflegen die Flächen extensiv und hinterlassen ein wichtiges Material: den Dung. Er bietet für Insekten eine reichhaltige Nahrungsquelle und diese stehen wiederum auf dem Speiseplan verschiedenster Vogelarten. „Der Wendehals ist wieder wieder da“, freuen sich Gregor Koschate, Michael Faller und Oliver Schmidle. „Auf den Wiedehopf warten wir noch.“
Außerdem lebt am Gewässer im Sundheimer Grund „ein gesunder Eisvogelbestand“, berichtete Gregor Koschate. Dieser gilt als „Indikator für eine intakte Uferzone“ entlang des Altrheinarms im Naturschutzgebiet. Dort kommt auch die Große Bachmuschel vor, von der Oliver Schmidle für die Besuchergruppe einige Schalen als Anschauungsexemplare dabeihatte. Weil sie früher so weit verbreitet war, dass Bauern sie an ihre Schweine verfüttert haben, heißt sie auch Gemeine Flussmuschel. Die Muschel, deren Bestand im Land um 90 Prozent zurückgegangen ist, kann pro Stunde vier Liter Wasser filtern und bis zu 40 Jahre alt werden.
Der Sundheimer Grund
Der Sundheimer Grund erstreckt sich über 58 Hektar. 32 Prozent der Fläche sind geschützte Biotope. Die Streuobstwiesen machen einen Anteil von 29 Prozent aus, davon sind 80 Prozent verpachtet. Bis zum 11. November laufen weitere Pachtverträge aus, so dass dann mindestens 20 Prozent der Streuobstwiesen in städtischer Zuständigkeit liegen.
Das Ackerland im Sundheimer Grund nimmt 26 Prozent der Fläche ein, die Gehölze sechs Prozent, nicht geschütztes Grünland erstreckt sich über drei Prozent des Gebiets, Wege machen zwei Prozent aus; bei weiteren zwei Prozent handelt es sich um sonstige Flächen.
Betrachtet man die unterschiedlichen Biotope, so sind 34,6 Prozent fließende und 19,6 Prozent stehende Gewässer, 15,1 Prozent Röhrichtbestände, 11,5 Prozent magere Flachlandmähwiesen, 9,5 Prozent Feldgehölze (Streifen aus Hecken und einzelnen Bäumen), 4,7 Prozent Trocken- und Magerrasen, 2,9 Prozent Streu- und Nasswiesen und 2,1 Prozent Bruch-, Sumpf- und Auwälder mit einer einzigartigen Artenvielfalt.







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