Angedacht: Lioba Jörg
Auch die Zeit nehmen für ein offenes Ohr

Lioba Jörg | Foto: privat

Eine Geschichte, die mich seit Beginn meiner Ausbildung begleitet, ist die vom Besuch Jesu bei den Schwestern Marta und Maria. Marta tut, was sie denkt, dass es von ihr erwartet wird und was sie vermutlich auch selbst von sich erwartet. Sie will eine gute Gastgeberin sein und umsorgt Jesus. Sie will, dass er sich wohl fühlt und dass er alles hat, was er sich wünscht.

Jesu Besuch bei Marta und Maria

Ich kann mir vorstellen, wie sie um ihn herumwuselt, ihn nach seinen Wünschen fragt, emsig Getränke und Speisen zubereitet und auf dem guten Geschirr schön anrichtet. Sie ist die ganze Zeit beschäftigt und ich spüre ihren Wunsch nach Lob und Anerkennung für das, was sie tut. Zugleich ist in ihrem Herzen auch eine kleine Portion Stolz auf ihre Leistung, darauf, dass sie so eine gute Gastgeberin ist und eine ganze Portion Neid und Verachtung für ihre scheinbar faule Schwester, die sich, statt ihr bei der Arbeit zu helfen, zu Jesus setzt und ihm zuhört.

Ich kann Marta gut verstehen und finde mich in ihr wieder. Auch ich bin oft ganz von meiner Arbeit in Anspruch genommen. So sehr, dass ich mich manchmal in ihr verliere und nicht mehr gut auf mich und meine Bedürfnisse achte. Und auch meine Mitmenschen geraten mir da manchmal aus dem Blick. Oder ich habe einfach keine Kraft und Zeit, um mich einen Moment zu ihnen zu setzen und einfach für sie da zu sein, um sie zu fragen, wie es ihnen geht und ihnen ein offenes Ohr zu schenken.

Ich würde gerne mehr wie Maria sein, mich nicht so sehr vom Hamsterrad meines Alltags gefangen nehmen lassen, dass ich nicht mehr spüre, wann es an der Zeit ist, meine Arbeit aus der Hand zu legen, mich zu setzen und zuzuhören, sei es zu Jesus oder einem anderer Gast.

Ich glaube zum Christsein gehört beides, das Dienen und das Zuhören, das Handeln und einfach nur in der Gegenwart sein und sich wieder füllen lassen.
Lioba Jörg, Pastoralassistentin, Seelsorgeeinheit an Wolf und Kinzig

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