Von allem zu viel - Jeder kann mithelfen
Der Altrhein braucht eine Kur

Ein durch die Wetterextreme der vergangenen Jahre geschwächter Baum ist in den Altrhein gestürzt. | Foto: Stadt Kehl
  • Ein durch die Wetterextreme der vergangenen Jahre geschwächter Baum ist in den Altrhein gestürzt.
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Kehl (st). Nur wenige Minuten von der quirligen Fußgängerzone entfernt, ist der Altrhein eine grüne Oase der Ruhe. Bequeme Wege laden zum Spazierengehen ein, Bänke zum Ausruhen und auf den Podesten, am Strand oder auf den steinernen Sitzblöcken kann man dem Wasser nah sein. Doch der Altrhein hat ein Problem: Er hat von allem zu viel. Der Kot von zu vielen Tieren, die Blätter von den Bäumen und absterbende Wasserpflanzen sorgen für einen zu hohen Eintrag von Nährstoffen ins Gewässer. Alles zusammen führt zu Algenwachstum und am Ende zu einer dicken Schlammschicht auf dem Grund des Stadtweihers. Ein Teufelskreis.

Die städtischen Bereiche Tiefbau, Grünflächen, Betriebshof und Stadtplanung/Umwelt möchten diesen durchbrechen und bitten Kehler um Mithilfe: Müll gehört definitiv nicht in den Stadtweiher und wer Wasservögel mit Brot füttert, gefährdet deren Gesundheit.

Bäume im Wasser

Für die Bäume an den Altrheinufern ist in diesem Frühsommer alles zusammengekommen: Von der Trockenheit der vergangenen Jahre geschwächt, mussten sie im Winter eine lange nicht mehr gekannte Schneelast tragen. Darauf folgten große Regenmengen, welche den Boden aufweichten und starker Wind. Für einige alte Weichholzbäume war das zu viel: Sie stürzten in den Altrhein. Ein Teil der Bäume wird dort auch bleiben. Wenn ihre Wurzeln den Uferbereich noch stützen und sie für Tiere eine Brücke zum Festland bilden, werden die Baumstämme nicht aus dem Wasser geholt, erklärt Umweltbeauftragte Sarah Koschnicke. Die abstehenden Äste allerdings werden Mitarbeitende des Betriebshofs ebenso entnehmen wie das Totholz, damit bei dessen Zersetzung nicht weitere Nährstoffe frei werden, macht der stellvertretende Leiter des Betriebshofs, Frank Wagner, deutlich.

Teichseerosen

Bereits im Frühsommer wurden von Peter Rudolph vom Freiburger Büro für Gewässerökologie und Gewässerentwicklung, der die Stadt in Sachen Altrhein berät, weitere Teichseerosen in den Flachwasserzonen des Altrheins eingesetzt, die mit ihren auf der Wasseroberfläche schwimmenden, großen Blättern dazu beitragen, dass sich die Wassertemperatur an diesen Stellen nicht so stark erhöhen kann und somit das Algenwachstum im Umfeld gebremst wird. Denn auch die klimabedingte Erwärmung, ist sich Frank Wagner sicher, beeinflusst die Wasserqualität im Altrhein negativ.

Neue Brücke

Im Bereich von der Altrheinbrücke bis zur Sankt-Johannes-Nepomuk-Kirche soll außerdem der überhängende Bewuchs zurückgeschnitten werden – zum einen, um die Bäume zu entlasten, zum anderen, um die Laubmenge zu reduzieren, die ins Wasser fällt. Peter Rudolph schlägt in diesem Zusammenhang vor, in der vorherrschenden Windrichtung eine Schneise zu öffnen, damit der Wind für Strömung im Wasser sorgen kann.

Rechts und links der Brücke muss ohnehin etwas Freiraum geschaffen werden, erklärt Hans-Jürgen Schneider, Leiter des Bereichs Tiefbau, Grünflächen und Betriebshöfe, denn: Die dringend sanierungsbedürftige Brücke im Verlauf der Großherzog-Friedrich-Straße wird nicht nur durch eine neue Konstruktion ohne Stützen im Gewässer ersetzt, sondern auch auf vier Meter verbreitert werden. Dadurch sollen sich Radfahrer und Fußgänger auf der Brücke besser begegnen können. Die Bauarbeiten sind im zweiten Halbjahr 2022 geplant. Dabei werden auch die Stützen der Vorgängerbrücke aus dem Altrhein geholt. Der Gehölzrückschnitt findet bereits vorab von Oktober 2021 bis März 2022 statt.

Die Fontänen und das Seegras

Der Förderverein Weißtannenturm hat mit seiner Spendenaktion nach der Gartenschau dazu beigetragen, dass im Altrhein zwei Fontänen installiert werden konnten – eine große und eine kleine. Schon viele Jahre ist meist nur eine davon in Betrieb und auch das nicht konstant: Langes Seegras wird von den Motoren angesaugt und blockiert diese dann. Seegras und andere Wasserpflanzen werden einmal jährlich von einem speziellen Mähboot abgemäht und aus dem Wasser entnommen. Hans-Jürgen Schneider überlegt, die Mähaktion im Herbst um eine im Frühsommer zu ergänzen. Der Experte unterstützt diesen Vorschlag: „Der einzige Regulator für die Wasserqualität sind die Nährstoffe.“ Die müssen reduziert werden, weil die einfache Formel gilt: Je mehr Nährstoffe, desto mehr Wachstum und in der Folge ein Zuwachs an Schlamm.

Der Schlamm

Weil die – mutmaßlich – mindestens 50 Zentimeter dicke Schlammschicht auf dem Grund des Altrheins ein Problem ist, überlegen die städtischen Fachleute derzeit gemeinsam mit dem externen Experten, ob ein biochemisch stimulierter Schlammabbau einen Versuch Wert sein könnte. Bei diesem neuartigen Verfahren werden Bakterien eingesetzt, deren Lieblingsspeise Schlamm ist. Erste Modellprojekte andernorts waren erfolgreich: Die Mächtigkeit der Schlammschicht habe in flachen Gewässern deutlich reduziert werden können, berichtet Peter Rudolph. Um die Bakterien – versuchsweise vielleicht nur im Umfeld der Fontänen – einsetzen zu können, müsste der Altrhein zunächst gründlich untersucht werden: So gilt es, die Wasserqualität zu analysieren und die Dicke der Schlammschicht an unterschiedlichen Stellen zu messen. Das soll möglichst noch in diesem Jahr geschehen. Zuletzt hat sich das Büro Limnofisch 2012 mit dem Einfluss der Fischpopulation auf die Wasserqualität befasst.

Die Tiere

Seit zusätzliche Bäume ins Wasser gestürzt sind, zeigen sich noch deutlich mehr Schildkröten als bisher: An die Hundert hat Hans-Jürgen Schneider an einem sonnigen Tag gezählt – riesengroße und ganz kleine. Und das, obwohl im vergangenen Sommer zahlreiche der Panzertiere im Rahmen eines Forschungsprojekts entnommen und in eine Auffangstation nach München gebracht wurden. In diesem Zusammenhang wurde eindeutig festgestellt, dass sich die Schildkröten, die auf ausgesetzte Vorfahren zurückgehen – und weil sie hier nicht hingehören, einheimischen Arten den Lebensraum nehmen – am Altrhein auch vermehren: Es wurden Gelege gefunden, weiß Sarah Koschnicke. Für das Gewässer sind die Schildkröten deshalb ein Problem, weil die Menge des Kots, die sie ins Wasser abgeben, erheblich ist und dieser den bereits bestehenden Überschuss an Nährstoffen noch vergrößert.

Ähnliches gilt für Schwäne, Enten, Blesshühner und Möwen. Weil Spaziergänger durch Fütterung für ein viel zu hohes Nahrungsangebot sorgen, leben am Altrhein sehr viel mehr Wasservögel als der Stadtweiher verkraftet. Nicht nur ihr Kot trägt zur Verschlechterung der Wasserqualität bei, sondern auch ganze Brotlaibe oder Toastbrote (oft noch mit Tüte), die unvernünftige Zeitgenossen ins Wasser werfen. Brot ist kein natürliches Nahrungsmittel für Enten und Schwäne – „wer die Tiere damit füttert, gefährdet ihre Gesundheit“, wird Umweltreferentin Sarah Koschnicke ganz deutlich. Das Füttern der Altrheinbewohner ist folgerichtig bereits seit vielen Jahren verboten – Schilder weisen darauf hin.

Im Zuge des Überangebots an Nahrung haben sich auch die Nutrias im Bereich des Altrheins deutlich vermehrt. Sie gesellen sich zu den übrigen tierischen Wasserverschmutzern. Vor wenigen Jahren hatten die Mitarbeitenden des Betriebshof ein totes Exemplar aus dem Stadtweiher gezogen, das eindeutig an Verfettung gestorben war.

Müll

Wenig überraschend: Auch achtlos in den Altrhein geworfener Müll bereitet dem Gewässer – und seinen Bewohnern – Probleme. Plastiktüten, Plastik- oder Styroporbehältnisse, die einst Mahlzeiten enthielten, Kaffeebecher und Flaschen bilden längst nicht das komplette Sortiment an Unrat, das die Mitarbeitenden des Betriebshofs aus dem Stadtweiher fischen. Auch so manches Fahrrad hat sein Ende auf dem Grund des Altrheins gefunden – und vor Jahren wurde sogar ein Motorroller aus dem Schlamm gezogen. Der Müll, der sich an den Rechen der Ausläufe sammelt, sieht nicht nur hässlich aus, sondern vermindert den Wasserzufluss. Auch an den im Wasser liegenden Bäumen, die eigentlich Ruheplätze für die Tiere sein sollten, bilden sich Müllbarrieren.

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