Quer durch die Geschichte Kehls
Privater Nachlass und seine Aussagekraft

Historische Dokumente der Familie Seifermann | Foto: Stadt Kehl
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Kehl (st). Historische Dokumente aus dem Vermächtnis von Anna-Dorothea Timmermann aus dem fernen Jena führen die Leiterin des Kehler Museums und des Stadtarchivs, Dr. Ute Scherb, auf eine Reise quer durch die Geschichte der Rheinstadt im 19. Jahrhundert. Anhand der jüngst überlassenen Schriftstücke und Bilder ist es erstmals möglich, die Geschichte eines regionalen Steinmetzbetriebes sowie die Biografien einzelner Mitglieder der Familie Seifermann historisch zu belegen. „In Sachen Qualität und Aussagekraft ist dieser private Nachlass einzigartig“, schwärmt die Archivarin.

Stammbaum

An dieser Stelle beginnt die Aufarbeitung eines alten Kehler Familienstammbaums, zu dem das Archiv der Stadt durch einen privaten Nachlass Zugriff erhalten hat. Mehrere gut erhaltene Dokumente, unter anderem eine Visitenkarte des hauseigenen Steinmetzbetriebs, ein Hochzeitsbild, ein Zeugnisbüchlein sowie „Theilzettel“ des Kehler Notariats aus dem Jahr 1882 und eine Konfirmationsurkunde, zeichnen den Weg der Familie Seifermann von der Mitte des 19. Jahrhunderts an nach. Das Vermächtnis erzählt die Geschichte des regionalen Steinmetzbetriebs, von tragischen Sterbefällen und einer über die Grenzen der Rheinstadt hinausreichenden Vermählung.

Bereits 2010 konnte das Archiv, im Zuge der Ausstellung „Im Zeichen der Vereinigung – Kehl im deutschen Kaiserreich“, Teile des späteren Nachlasses für die Öffentlichkeit zugänglich machen, diese gingen danach aber wieder an die Leihgeberin zurück. Nun haben die Dokumente im Stadtarchiv ihre dauerhafte Bleibe gefunden und ermöglichen Ute Scherb eine ausgeweitete Spurensuche in der Geschichte Kehls.

Mittelschicht

Die Familie Seifermann ist zu Beginn der neu erhaltenen Aufzeichnungen in die Kehler Mittelschicht einzuordnen. Die reich verzierte Visitenkarte des hauseigenen Steinmetzbetriebes lässt in diesem Punkt zwar einen gewissen Raum für Spekulationen, aber ein Beweis für Reichtum kann darin nicht gesehen werden, weiß Ute Scherb: „Es sind andere Visitenkarten aus dieser Zeit bekannt, zum Beispiel von einer Offenburger Druckerei, die selbst stets am Existenzminimum arbeitete; trotzdem waren deren Visitenkarten sehr aufwändig gestaltet.“

Joseph Seifermann, der Vater der Familie, geboren am 22. März 1845, war sein Leben lang am Oberrhein, größtenteils in der Kehler Rheinstraße 21, zu Hause. In seinem Beruf als Steinmetz spezialisierte er sich anscheinend auf Grabsteine und -monumente aller Art, was ihm und seinen Nachfahren einen gewissen Grad an Sicherheit einbrachte. Er übernahm einen bereits in Kehl eingeführten Steinmetzbetrieb und ließ seine Visitenkarte in derselben Straße, Rheinstraße Nummer 50, von einem Lithografen A. Klein anfertigen – den Vornamen konnte Ute Scherb trotz intensiver Recherchen noch nicht in Erfahrung bringen. Die Existenz dieses Spezialisten für Drucktechniken konnte durch den privaten Nachlass von Anna-Dorothea Timmermann erstmals belegt werden.

Zusammen mit seiner Frau Maria Seifermann, geborene Franzmann, bekam Joseph am 7. März 1876 eine Tochter mit dem Namen Bertha Maria Seifermann. Sie erlernte – nachdem sie in ihrer Schulzeit von 1882 bis 1891 überall die Note „gut“ bekommen hatte – den Beruf der Näherin. Ob sie dieser Tätigkeit jedoch in einem Betrieb oder auf eigene Rechnung nachging, kann anhand der untersuchten Dokumente nicht festgestellt werden, vermerkt Ute Scherb.

Bertha Seifermann heiratete am 14. April 1899 Friedrich Karl Schwenzer, einen Soldaten aus Frankfurt an der Oder, welcher damals in der Garnisonsstadt Kehl stationiert war. Friedrich Karl war mit 18 Jahren in die Armee eingetreten und hatte eine Pionierlaufbahn eingeschlagen. Während seines Aufenthalts in der Rheinstadt wurde er, ab dem 2. Oktober 1893, in der 3. Kompagnie des Badischen Pionier-Bataillons Nr. 14 eingesetzt. Zumindest am Anfang dürfte er in der erst drei Jahre zuvor eingeweihten Großherzog-Friedrich-Kaserne einquartiert gewesen sein. Trauzeugen des jungen, protestantischen Brautpaares waren Friedrich Karls Vater, Karl Schwenzer, und der Wirt des Kehler Gasthauses zum Falken, Georg König. Das Hochzeitsbild, welches ebenfalls im privaten Nachlass enthalten ist, entstand in Straßburg, Moerschhauserstraße 29; der Fotograf hieß J. Mehlbreuer; leider ließ sich auch hier der Vorname bislang nicht verifizieren. Joseph Seifermann erlebte die Hochzeit seiner Tochter Bertha nicht mehr. Er starb bereits am 23. Mai 1882, im Alter von gerade einmal 36 Jahren und läutete damit eine schwere Zeit für die Familie ein: Bertha musste sich als Sechsjährige nicht nur von ihrem Vater, sondern eine Woche später auch von ihrem vierjährigen Bruder, Alfred Seifermann, verabschieden. Nur wenige Tage später, am 11. Juni 1882, starb zudem ihre sechs Monate alte Schwester, Frieda Seifermann.

Umzug

Die Familie zog mit ihren 1900 und 1901 geborenen Töchtern Hedwig und Gertrud bereits vor der Entlassung Friedrich Karl Schwenzers aus dem aktiven Dienst am 21. März 1904 aus Kehl fort. Das Ehepaar meldete sich am 1. April 1903 in Lahr wohnhaft. Auch die komplette Familie Seifermann, mitsamt Berthas verwitweter Mutter Maria und den Brüdern Othmar und Hermann, war von dem Umzug betroffen: Die Seifermanns zogen in die Lahrer Bergstraße 6. Sowohl Friedrich Karl (1944), als auch Bertha (1970) lebten bis zu ihrem Tod in Lahr.

Dieses private Vermächtnis leiste „einen wichtigen Beitrag für die Aufgabe, das historische Bild unserer Stadt für die Nachwelt zu rekonstruieren“, schwärmt Ute Scherb. Gerade deshalb sei das Verhalten der Spenderin Anna-Dorothea Timmermann, ihrerseits Enkelin von Bertha Seifermann, vorbildlich, erklärt die leidenschaftliche Archivarin. Mit dem Nachlass werde sie auch in Zukunft weitere Nachforschungen anstellen, um – wie eine Detektivin bei der Wahrheitssuche – ein möglichst detailreiches Bild des historischen Kehls anbieten zu können.

Denn der Alltag der Menschen im 19. Jahrhundert sei in vielerlei Hinsicht aufschlussreich, sagt Ute Scherb. So sei dieser Neuzugang für das Archiv ein hervorragender Beleg dafür, dass es zwischen den Einheimischen und den nach Kehl versetzten Pionieren während des Kaiserreichs auch sehr private Beziehungen gegeben habe, resümiert Ute Scherb.

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