Volkstrauertag - Gedenkfeier in Kehl
Zeitzeugen berichten vom Krieg

Der Ehrenfriedhof in Kehl | Foto: Stadt Kehl
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Kehl (st) „Wir setzen Menschlichkeit und Rassismus gegen Antisemitismus und Rassismus“: In jeglicher Hinsicht aktuell war die Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag am Sonntag, 19. November, auf dem sogenannten Ehrenfriedhof. Mitglieder der Zeitzeugen-AG des Einstein-Gymnasiums und Oberbürgermeister Wolfram Britz spannten den Bogen von den Bombenangriffen 1944 auf Kehl zu den Kriegen im Nahen Osten und der Ukraine, die sich auch auf das Zusammenleben in Kehl auswirken. Anstelle der ukrainischen und der israelischen Nationalfahnen wehen nun Friedensflaggen am Rathaus.

Das Heulen von Sirenen und das Dröhnen nahender Kampfflugzeuge ließ die etwa hundert Teilnehmenden an der Gedenkfeier zu Beginn erschaudern: Das in Kooperation mit der Zeitzeugen-Arbeitsgemeinschaft und ihrem Lehrer Uli Hillenbrand entstandene Video „Bomben auf Kehl“ zeigt, eingebettet in die heutige Stadtlandschaft, die Zerstörungen, die der Angriff der Bomber am 25. September 1944 verursacht hat. Noch eindrücklicher als die Bilder sind die Berichte der Zeitzeugen, mit denen der Film unterlegt ist. Als die Bomben fielen, waren sie alle noch Kinder. Doch die grausamen Erlebnisse, die entsetzlichen Bilder haben sich so eingebrannt, dass sie im Alter von 80 oder 90 Jahren noch jedes schreckliche Detail schildern können.

Und genauso, wie es ihnen ergangen sei, ergehe es heute Abertausenden von Kindern in dieser Welt, sagte Oberbürgermeister Wolfram Britz in seiner Gedenkrede: „Kinder in Israel, Kinder in Gaza, Kinder in der Ukraine, Kinder in Syrien, in Äthiopien, Kinder in mehr als 50 Ländern dieser Welt werden solche entsetzlichen Bilder ihr Leben lang in sich tragen.“ In rasantem Tempo folge Krieg auf Krieg und Krise auf Krise: „Eine einzige Flut von Bildern von Tod, Zerstörung, Bedrohung. Die Welt ist im Dauerstress und wir sind es mit ihr.“ Die Aufnahmefähigkeit schwinde, die Gereiztheit wachse, Welle der Shitstorms erreiche nie gekannte Ausmaße. „Eine deutliche Zunahme von antisemitisch motivierten Attacken in unserem Land. Wir sehnen uns wohl alle danach, dass dies enden möge.“

Kehler Friedensflaggen

Zwar könne man von Kehl aus die Welt nicht befrieden, „aber wir entscheiden darüber, wie wir in unserer Stadt zusammenleben“, betonte Wolfram Britz: „Wir entscheiden, ob wir Gräben aufreißen, oder ob wir im Gespräch bleiben. Wir entscheiden, ob wir spalten, oder ob wir zuhören und verstehen.“ Er habe verstanden, dass ihn Kehlerinnen und Kehler nach dem grausamen Überfall der mordenden Terrorgruppe Hamas auf Israel angeschrieben und zum Hissen der israelischen Flagge vor dem Rathaus aufgefordert hätten. Er habe auch verstanden, dass Kehler Familien mit palästinensischen Wurzeln in tiefer Sorge und in Angst um ihre Angehörigen und Freunde in Gaza seien. Und dass sie Angst hätten, als Muslime unter Generalverdacht gestellt zu werden.
Deshalb habe man – gemeinsam mit dem Ältestenrat – entschieden, die ukrainische und die israelische Flagge abzunehmen und individuell gestaltete Kehler Friedensflaggen zu hissen. „Wir sind überzeugt, dass wir in Kehl uns hinter den auf diesen Fahnen genannten Werten versammeln können: Wir möchten in Frieden leben, wir halten zusammen, wir setzen Menschlichkeit und Respekt gegen Antisemitismus und Rassismus.“

Umgestaltung der Gedenkstätte

Wie müsste der sogenannte Ehrenfriedhof gestaltet sein, damit sich auch Jugendliche angesprochen fühlen und sich für diese Gedenkstätte interessieren? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Zeitzeugen-Arbeitsgemeinschaft seit 2021. Das zweite Video gibt einen Überblick darüber, was die Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit ihrem Lehrer Uli Hillenbrand bislang unternommen haben. Die als große Graffiti-Tafeln gestalteten Friedensbotschaften leuchteten den Besucherinnen und Besuchern der Gedenkveranstaltung am 19. November schon vom Eingangsbereich aus entgegen. Das ist auch dem Umstand zu verdanken, dass die dunklen Hecken entfernt wurden und die Kriegsgräberstätte sich zur Stadt öffnet.

Die Zeitzeugen-AG hat sich bereits im Sommer mit Professor Christian Fuhrmeister vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München und Bernhard Diehl vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge getroffen, um mehr über die Geschichte des Friedhofs zu erfahren und weitere Pläne zur Umgestaltung zu besprechen. Thomas Bringolf fasste die Ideen bei der Gedenkveranstaltung zusammen: „Wir würden gerne mindestens eine weitere große Graffiti-Wand gemeinsam gestalten. Der Eingangsbereich, aber auch die Rückseite des Friedhofs könnten mit einer größeren Friedensbotschaft auf die Bedeutung dieses Ortes hinweisen und Besucherinnen und Besucher dazu einladen, näherzukommen. Wir wollen den Weg, der von der Kinzigallee auf den Friedhof zuläuft, erkennbarer machen, zum Beispiel mit einer besseren Befestigung und Kies. Links und rechts auf den Wiesenflächen würden wir gerne Labyrinthe anlegen. Diese könnten symbolisch für die Verlorenheit stehen, die viele Menschen in Kriegen und Konflikten empfinden. Oder für die Irrwege, die zu diesen Kriegen führen. Links und rechts des Wegs, aber auch an anderen Stellen, könnten Informationstafeln stehen, denn wir wollen den Menschen, die hier begraben liegen, ein Gesicht geben. Dazu gehört für uns auch, besser zu kennzeichnen, wo die Gräber liegen. Dass sich unter dem Wachholder hinter uns die Massengräber der unbekannten Toten befinden, sollte man als Besucher erfahren können. Wir wollen Kontakt mit Nachkommen von Menschen aufnehmen, die hier begraben liegen und Informationen und Dokumente sammeln, mit denen wir das Schicksal der Toten an Beispielen zeigen können. Wir denken an Infotafeln, die mit QR-Codes ausgestattet sind und auch an Hörstationen. Die Kriegsgräberstätte sollte aber auch mehr Informationen darüber liefern, wie sie entstanden ist. Wir wollen Besucherinnen und Besuchern erklären, was sie an diesem Ort sehen, wer der Architekt dieser Kriegsgräberstätte gewesen ist und weshalb er diesen Ort so gestaltet hat. Wir wollen also, dass die Kriegsgräberstätte ein Ort zum Trauern und Erinnern sein kann. Zugleich aber auch ein Ort, der heute eine Friedensbotschaft senden kann. Und ein Ort, an dem Menschen über den Friedhof und die Geschichte Kehls etwas erfahren können.
Wir wollen also möglichst vielen Menschen einen Grund geben, diesen Ort zu besuchen, statt nur daran vorbeizulaufen.“

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