Spieletreff für ukrainische Kinder
Ablenkung vom tristen Alltag

Anastasia Yakovenko besucht mit ihrem Sohn Leonid regelmäßig den Spieletreff in der Kita Sundheim. | Foto: Stadt Kehl
  • Anastasia Yakovenko besucht mit ihrem Sohn Leonid regelmäßig den Spieletreff in der Kita Sundheim.
  • Foto: Stadt Kehl
  • hochgeladen von Rembert Graf Kerssenbrock

Kehl (st). Zwischen Spielzeugtraktoren und Bausteinen findet der dreijährige Leonid Yakovenko Ablenkung von der Situation aufgrund des Kriegs in seinem Heimatland nicht zu Hause sein zu können. Die Kita Sundheim und die Kita Kork bieten für die Kinder ukrainischer Geflüchteter an zwei Tagen in der Woche einen Familien-Spieletreff an.

Überwältigt vom großen Spieleangebot

„Die Eltern bedanken sich wirklich überschwänglich bei uns“, berichtet Marina Bruderer, stellvertretende Leiterin der Kita Sundheim. Die Mutter des dreijährigen Leonid, Anastasia Yakovenko, kommt mit ihrem Sohn an jedem Spieletrefftag in die Einrichtung. „Anfangs war Leonid von den vielen Kindern und den großen Spieleangebot überwältigt“, berichtet die Mutter. „Inzwischen freut er sich und fragt, wann wir wieder in die Kita gehen.“

Leonid und Anastasia Yakovenko kommen aus der Hafenstadt Mykolajiw im Süden der Ukraine, knapp 100 Kilometer von Odessa entfernt. Ende März ist die kleine Familie nach Kehl geflüchtet. Für Leonid ist es der erste Besuch in einer Kindertageseinrichtung. In der Ukraine hatte er noch keinen Kindergarten besucht. Dort gehen, ähnlich wie in Deutschland, die Kinder im Alter zwischen sechs und sieben Jahren in die Schule. „Zusätzlich gibt es in der Ukraine eine Art Vorschulpflicht“, berichtet Margarita Zvolyeva.

Sie macht derzeit in der Kita Sundheim ein Anerkennungspraktikum als Kinderpflegerin und hatte zuvor als Grundschullehrerin in der Ukraine gearbeitet. Kommen ukrainische Kinder in die Grundschule, können sie üblicherweise bereits lesen und in einem Zahlenraum bis zehn rechnen. Das lernen sie in sogenannten Vorschuleinrichtungen, zu denen auch Kindergärten gehören. „Die Wartelisten sind in der Ukraine sehr lang“, berichtet Mutter Anastasia Yakovenko. Daher empfehle es sich, das eigene Kind bereits nach der Geburt in einer Kindertageseinrichtung anzumelden. Auch der dreijährige Leonid hätte einen Kindergarten in Mykolajiw besuchen sollen – bis der Krieg diese Pläne zerschlug.

Bei den ukrainischen Kindern beim Spieletreff können eventuelle Traumata und Erinnerungen an das Kriegsgeschehen verarbeitet werden. „Die Kinder sind in erster Linie überwältigt von den neuen Eindrücken“, berichtet Marina Bruderer. Anders liegt der Fall hingegen bei den Eltern. „Jede Familie hat ihre Geschichte“, sagt Margarita Zvolyeva. „Deshalb sind sie auch dankbar für die Ablenkung, die wir ihren Kindern bieten“, ergänzt sie.

Zum Spieletreff melden sich die interessierten Eltern per Email bei den Einrichtungen in Sundheim und Kork an. Am ersten Tag gibt es dann einen Rundgang. In Sundheim stellen Margarita Zvolyeva oder ihre ebenfalls ukrainisch sprechende Kollegin den Neuankömmlingen die Einrichtung und das Offene Konzept vor. In der Regel können es die Kinder kaum abwarten, in einem der vielen Bildungsbereiche endlich „loszulegen“, wie die Anerkennungspraktikantin es beschreibt.

Montessori-Ansatz

Die Eltern reagieren eingangs oftmals reserviert und zurückhaltend, kennen sie aus der Ukraine doch lediglich die Betreuung in geschlossenen Gruppen. „Den Montessori-Ansatz und das Konzept der Offenen Arbeit finde ich sehr spannend“, berichtet Mutter Anastasia Yakovenko. Ihren Sohn Leonid zieht es ins sogenannte „Gelbe Zimmer“. Während auf dem Tisch nebenan Kita-Kinder bunte Glassteine unter die Lupe nehmen, macht er den Kitaboden mit einem blauen Spielzeugtraktoren unsicher. „Durch unser Offenes Konzept kommen die ukrainischen Kinder viel in Kontakt mit allen übrigen Kita-Kindern und spielen nicht in einem Vakuum“, sagt Marina Bruderer. Sprachbarrieren seien dabei kein Hindernis. „Die Kinder verstehen sich auch ohne Worte“, berichtet die stellvertretende Kita-Leiterin. So scheuten sich die ukrainischen Kinder auch nicht, sich zum Singkreis dazuzugesellen, auch wenn sie die Liedtexte nicht kennen.

Das Konzept eines Spieletreffs als Begegnungsort für Familien und Kinder Kriegsgeflüchteter entstand im Fachbereich Bildung, Soziales und Kultur. „Wir haben uns sehr gefreut, dass sich die Leitungen in Sundheim und Kork schnell und spontan bereit erklärt haben, Spieletreffs einzurichten“, berichtet Michaela Könner, Fachkoordinatorin für Bildung und Betreuung von Kindern. Auch die übrigen städtischen Kitas haben signalisiert, sich dem Projekt bei Bedarf anzuschließen. Die Aufsichtspflicht während des Spieletreffs obliegt den Erziehungsberechtigten.

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.