Kehler Feuerwehr aus Flutgebiet zurück
Wenn Menschen nach Stück Brot fragen

"Wie im Krieg" beschreiben die acht Kehler Feuerwehrleute die kaum vorstellbare Zerstörung in Bad Neuenahr-Ahrweiler und den umliegenden Ortschaften. | Foto: FFW Kehl
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  • "Wie im Krieg" beschreiben die acht Kehler Feuerwehrleute die kaum vorstellbare Zerstörung in Bad Neuenahr-Ahrweiler und den umliegenden Ortschaften.
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Kehl (st). Menschen, die sichtlich verwirrt durch eine zerstörte Stadt gehen, in zu großen Kleidungsstücken, die nicht ihre eigenen sind und nach einem Stück Brot fragen – mitten im reichen Deutschland: Wie in einem Kriegsbiet haben sich die acht Feuerwehrleute aus Kehl gefühlt, die von Donnerstag bis Montag gemeinsam mit Kameraden aus Achern, Lahr und Offenburg im Katastrophengebiet in Bad Neuenahr-Ahrweiler im Einsatz waren.

200 Kubikmeter Schlamm mit Muskelkraft bewegt

200 Kubikmeter Schlamm haben sie allein mit Muskelkraft aus dem Keller einer Klinik geschaufelt, Schränke, Waschmaschinen, Trockner und Geräte bewegt, die einst dazu dienten, kranken Menschen zu helfen. Übervoll mit Eindrücken sind sie am Dienstagnachmittag, 2. August, in die Feuerwache zurückgekehrt, wo sie von Beigeordneten Thomas Wuttke und Feuerwehrkommandant Viktor Liehr empfangen wurden. Auch für langgediente Feuerwehrangehörige gehören die Erfahrungen im Hochwassergebiet zum Heftigsten, was sie je erlebt haben. Mit dabei war auch Jonas Becker, dessen freiwilliges soziales Jahr bei der Feuerwehr eigentlich am 31. Juli zu Ende war.

„Wie im Krieg.“ Diese Aussage fällt gleich mehrfach, wenn die Acht von ihren Eindrücken berichten. „Die komplette Infrastruktur ist am Boden“, sagt Matthias Baumann, der die Kehler Kameraden bei ihrem Einsatz angeführt hat. Sie berichten von einer Ortschaft, die einst aus 360 Häusern bestand: „Davon stehen noch fünf. Den Ort Schuld gibt es nicht mehr.“ Die Medien könnten nicht rüberbringen, was sie gesehen haben, sind sie sich einig und berichten von den Menschen, die sie getroffen haben. Fast drei Wochen nach der Katastrophe gibt es in den am stärksten betroffenen Orten noch immer kein fließendes Wasser, fast drei Wochen nachdem das Wasser ihnen alles genommen hat, haben viele Einwohnerinnen und Einwohner noch immer nichts zu essen. „Wir haben unsere Lunchpakete verschenkt“, sagt Dominik Kässinger, die Kameraden nicken.

Die Kehler Feuerwehrleute waren in einem Krankenhaus im Einsatz, das direkt an der Ahr liegt. Eine Straße habe direkt an der Klinik für Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen vorbeigeführt. Auf Google Maps haben sich die Feuerwehrkameraden angeschaut, wie es dort einst ausgesehen hat. „Da war ein Grünstreifen“, sagt einer, „und Bäume“, ergänzt sein Kollege. „Jetzt ist da nur noch ein mindestens 20 Meter breites Loch.“

Das Klinikpersonal hatte in der Katastrophennacht noch versucht, mit Sandsäcken und Tischplatten eine Barriere zu bauen, doch das Wasser stieg viel zu schnell und am Ende weit über die errichtete Sperre. Die 150 Patienten konnten sich noch ins oberste Stockwerk retten. „Sie haben ganze Häuser vorbeischwimmen sehen, auf denen Menschen saßen.“ In unmittelbarer Nähe der Klinik liegt ein Brückenkopf. Auf Nachfrage erfuhren die Feuerwehrleute, dass es dort nie eine Brücke gab. „Die war viel weiter oben.“ Alle Brücken, bis auf zwei, hat das Wasser mitgerissen.

Auftrag der Feuerwehrmänner war es, den Keller der Klinik möglichst frei zu räumen. Erfahrene Feuerwehrleute – und nicht andere freiwillige Helfer – sollten diese Arbeit machen, weil nicht klar war, ob das Gebäude einsturzgefährdet ist. Ein Farblager soll sich dort befunden haben, das Labor der Klinik, der EKG-Raum, also Bereiche, in denen auch giftige Substanzen zu vermuten waren. Viele Spritzen haben die Kehler gefunden. Vollgefüllte Wäschewagen, durchtränkt von Wasser und Schlamm, und daher von immensem Gewicht, galt es ebenso zu bewegen, wie die Spinde der Mitarbeitenden der einstigen Klinik. Das Wasser hatte sie, genauso wie Waschmaschinen und Trockner, mit seiner ungeheuren Wucht durcheinandergewirbelt, als handle es sich um Möbel einer Puppenstube.

Ein privater Bauunternehmer hat bei seinem Bagger das Dach abgeschraubt, ist in den Keller gefahren und hat eine Wand eingerissen, damit die Feuerwehrleute weiterarbeiten konnten und geholfen, die schwersten Teile herauszuholen. „Wir hätten das sonst nicht geschafft“, sagt Matthias Baumann. Teilweise mussten sie den Schlamm in Eimer schaufeln und diese von Mann zu Mann weitergeben, während Wasser aus der Isolation der Lüftungsrohre auf sie hinab tropfte. „Das war richtig harte Arbeit“, die sie am Abend ihre Hände kaum noch spüren ließ. Weil Schubkarren Mangelware waren, wurden am Samstag früh 25 Karren von der Kehler Feuerwehr nachgeliefert.

„Vor einem Aufzug lag ein Straßenschild“, verdeutlicht Adrian Krieg, dass das Wasser auch Vieles in die Klinik geschwemmt hat, was dort nicht hingehörte. Zwar wussten die Feuerwehrleute, dass Patienten und Mitarbeitende der Klinik gerettet worden waren, dennoch schwang bei der Arbeit immer die Furcht mit, auf eine Leiche zu stoßen. Schließlich war vor ihnen noch niemand in diesem Keller gewesen. „Am Samstag wurde zwei Häuser weiter noch eine Tote gefunden.“ Als andere Helfer ein Auto abschleppen wollten, mussten sie feststellen, dass darin Eltern mit ihren beiden Kindern umgekommen waren. Es sind diese Erlebnisse und die Berichte der Menschen, die ihnen bei ihrem Einsatz begegnet sind, welche die Kehler Helfer noch lange begleiten werden. Sie erzählen von zwei Feuerwehrkameraden aus Bad Neuenahr, die in der Katastrophennacht im Einsatz waren und die vom Wasser überrascht wurden. Der eine klammerte sich sechs Stunden lang an den Ast eines Baumes, bevor er gerettet wurde, der andere hielt sich acht Stunden lang einem Kreuz fest, das auf einem Friedhof stand.

Der Parkplatz, auf dem sie die Feuerwehrautos abstellten, wenn sie im Keller der Klinik arbeiteten, stand am 14. Juli 2,50 Meter hoch unter Wasser, hat man ihnen gesagt. Auf dem Weg zu ihrer Einsatzstelle sahen sie Häuser, denen vorbeischwimmende Baumstämme ganze Ecken abgerissen haben. Auch in der Tiefgarage des Krankenhauses mussten Baumstämme mit einem Bagger herausgezogen werden. Sie trafen Menschen, die ihnen sagten, dass sie nun zum letzten Mal durch die Stadt und die Straßen gingen, die einst ihre Heimat waren, weil sie nun wegzögen – für immer. Ihre Häuser waren schon eingerissen.

Auch die Gebäude, die jetzt noch stehen, werden nicht alle erhalten werden können, ist Matthias Baumann überzeugt. Erst wenn die Mauern getrocknet seien, würden manche Risse sichtbar, werde sich zeigen, welche Häuser noch abgebrochen werden müssten. In fünf Tagen haben sie gerade mal 400 Quadratmeter aufräumen können: Es werde Jahre dauern, bis die Stadt wiederaufgebaut sei, sind sich die Kehler Helfer sicher. „Werden dort überhaupt noch Menschen wohnen wollen?“ fragen sie sich.

Sichtlich angefasste Reaktionen

„Man kann sich nicht vorstellen, dass Kehl nach drei Stunden nicht mehr steht“, sagt Jonas Becker noch sichtlich angefasst, von den Erlebnissen der vergangenen Tage. Am 31. Juli ist sein freiwilliges soziales Jahr bei der Kehler Feuerwehr zu Ende gegangen. Dennoch wollte er beim Einsatz im Katastrophengebiet unbedingt dabei sein. „Feuer kann man bremsen, ausmachen“, sagt er, „aber Wasser nimmt seinen Weg, das kann man nicht aufhalten.“ Matthias Baumann stimmt ihm zu. „Auch die Aufräumarbeiten sind einfacher. Die Asche kann weg.“

Nach all diesen Eindrücken und der schweren Arbeit waren die Kehler Helfer froh, dass sie abends ins Basislager am Nürburgring zurückkehren konnten und nicht im Katastrophengebiet ihr Zelt aufschlagen mussten. „Das war wichtig für die Psyche“, sagt Matthias Baumann. Froh waren die Männer auch über die Infrastruktur dort, über Toiletten, Duschen und die Mahlzeiten. Begleitet worden war der Hochwasserzug aus der Ortenau von Helfern des Deutschen Roten Kreuzes und des Malteser-Hilfsdienstes, die für ihre Verpflegung vor Ort gesorgt haben. Ein warmes Essen zu Mittag oder ein heißer Kaffee zwischendurch, „das hat uns sehr geholfen“, drücken die Feuerwehrleute ihre Dankbarkeit aus.

Abends, wenn die Feuerwehren und die Hilfsdienste das Katastrophengebiet verlassen haben, „ist die Polizei reingefahren“. Die Feuerwehrmänner berichten von Plünderungen, von Leuten, die Menschen, die fast alles verloren haben, noch das Letzte nehmen wollen, das ihnen geblieben ist. Sie haben erlebt, dass sich Querdenker mit falschen Uniformen als Bundeswehrangehörige verkleidet und den Einwohnern inmitten der völligen Zerstörung vorgemacht haben, dass die Soldaten abziehen und sie ihrem Schicksal überlassen würden. Und genau davor, das haben die Helfer erfahren, „hat die Bevölkerung am meisten Angst“: „Was passiert, wenn keiner mehr kommt?“ lautete die bange Frage, mit der sie mehrfach konfrontiert wurden.

Die Kameradschaft untereinander „und mit den Kollegen aus Achern, Offenburg und Lahr“ hat ihnen geholfen, zu ertragen, was sie gesehen und erlebt haben. „Es war eine ganz tolle Gruppe“, lobt Gruppenführer Matthias Baumann und Viktor Liehr bedankt sich bei der Rückkehr der Acht als Kommandant mit Worten („Ihr habt Großartiges geleistet. Ich bin sehr stolz auf euch.“) und mit Flutwein, den er privat bei einem Winzer im Katastrophengebiet erstanden hat. Die Flaschen weisen noch deutliche Spuren von Schlamm auf. Fast so viele wie die Stiefel und die Einsatzkleidung der Kehler Feuerwehrleute.

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