Unternehmensführung bei Insolvenz
"Dauer-Krise geht an keiner Branche spurlos vorbei"

In den zurückliegenden zwei Jahren gab es in der Ortenau halb so viele Insolvenzen wie während der Finanzkriese 2008 und 2009. | Foto: Foto: gro
  • In den zurückliegenden zwei Jahren gab es in der Ortenau halb so viele Insolvenzen wie während der Finanzkriese 2008 und 2009.
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Ortenau  (rek) "Die Multi-Dauerkrise geht an keiner Branche spurlos vorbei", macht Dr. Dirk Pehl klar. Von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie, den gestörten Lieferketten, dem Ukraine-Krieg und dem Fachkräftemangel seien alle Bereiche betroffen, so der Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht der in Achern ansässigen Kanzlei Schultze & Braun. Vor allem energieintensive Firmen – vom Bäcker bis zum Stahlerzeuger – träfen zudem die gestiegenen Energiekosten deutlicher. Zu Beginn des Jahres hat der Haslacher Automobilzulieferer Ditter Plastic einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverantwortung gestellt und damit auch die komplexe Situation in der Automobilindustrie verdeutlicht.

Was bedeutet Eigenverwaltung?

"Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren weichen vom Regelverfahren nur insofern ab, da es in diesen Verfahren keinen Insolvenzverwalter gibt, sondern einen Sachwalter. Der wird – genau wie der Insolvenzverwalter – vom Amtsgericht bestellt", erklärt Pehl. Er überwache wie eine Art Aufsichtsrat die Geschäftsführung, die voll handlungsfähig bleibe und die Sanierung des Unternehmens in eigener Regie und Verantwortung vorantreibe. Der Fokus liege ganz klar auf der Sanierung und dem Erhalt des Unternehmens.

Regelinsolvenzverfahren

"Beim Regelinsolvenzverfahren steuert der Insolvenzverwalter das Unternehmen", so Pehl. Er habe die Aufgabe, die Vermögenswerte zu sichern, zu verwerten und möglichst viel Geld auf die offenen Forderungen der Gläubiger auszuschütten. "Das gelingt immer am besten, wenn das Unternehmen erhalten bleibt und fortgeführt wird", betont Pehl.

Vor- und Nachteile

Pehl: "Grundsätzlich sind alle Insolvenzverfahren darauf ausgerichtet, die offenen Forderungen der Gläubiger bestmöglich zu befriedigen, ihnen also möglichst viel von dem Geld auszuzahlen, das noch aussteht." Der Nachteil für die Gläubiger sei, dass sie in der Regel Geld verlieren würden. "Das liegt aber nicht am Verfahren per se, sondern an der finanziellen Schieflage des Unternehmens", so Pehl.

Folgen für Arbeitnehmer

"Von dem Sanierungsansatz der Verfahren profitieren die Arbeitnehmer. Idealerweise wird das gesamte Unternehmen erhalten, inklusive aller Arbeitsplätze", erklärt der Fachanwalt. Den Arbeitnehmern würden zudem für bis zu drei Monate Insolvenzgeld, der volle Nettolohn – bis zu bestimmten Obergrenzen – von der Agentur für Arbeit ausbezahlt. "Ein Nachteil aus Sicht der Arbeitnehmer ist in solchen Fällen, dass die insolvenzrechtliche Kündigungsfrist mit drei Monaten nach Eingang deutlich niedriger ist als die normale, die ja unter anderem von der Beschäftigungsdauer und anderen Faktoren abhängt", betont Pehl.

Mehr Insolvenzen?

Die Insolvenzzahlen waren im vergangenen Jahr auf niedrigem Niveau, auch wenn sie zuletzt leicht angezogen haben", bilanziert Pehl vorläufig, da absolute Zahlen noch nicht vorlägen. Im Ortenaukreis hätten nach Daten des Statistischen Landesamtes für das Jahr 2021 lediglich 62 Unternehmen Insolvenz angemeldet. Das seien ungefähr halb so viele wie noch während der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009.

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