Zukunft des Ettenheimer Krankenhauses
Erste Reaktionen zum Gutachten

Pressekonferenz in Ettenheim nach dem Klinik-Gutachten
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Ettenheim (st). Nachdem am Donnerstag das Gutachten zu den Kliniken im Ortenauer Klinikverbund vorgestellt worden ist, nahmen Ettenheims Bürgermeister Bruno Metz, Rusts Bürgermeister Kai-Achim Klare, Minister a.D. Helmut Rau, Dr. Boris Weber (Netzwerk Gesundheit), Prof. Dr. Thomas Breyer-Mayländer (Gemeinderat und Dekan an der Hochschule Offenburg), Prof. Dr. Volker Schuchardt (Freundeskreis Klinikum Lahr e.V.), Dr. Reinhard Jäger (Förderverein Kreiskrankenhaus Ettenheim) und Klaus Schade (Netzwerk Gesundheit) im Rahmen eines Pressegesprächs Stellung zu dem Gutachten. Das Gutachten sieht eine Zentralisierung der Leistungen am Standort Offenburg und gleichzeitig eine Schließung der Krankenhäuser in Oberkirch, Kehl und Ettenheim vor. Das Gutachten schlägt eine sehr deutliche Bettenausweitung in einem neu zu bauenden Krankenhaus Offenburg vor. Die beiden Offenburger Krankenhäuser St. Josefsklinik und Ebertplatz sollen aufgegeben werden. Das neue Haus soll Maximalversorger werden. Das Krankenhaus Lahr, das genau wie Offenburg bisher auf einem Niveau nah an der Maximalversorgung gearbeitet hat, soll zum Schwerpunktversorger mit Leuchttürmen zurückgestuft werden.

Für Ettenheims Bürgermeister Bruno Metz sind Krankenhäuser Kernzellen der Gesundheitsinfrastruktur. Ärzte, Therapeuten und andere Akteure des Gesundheitswesens siedeln sich gerne bei oder in der Nähe von Kliniken an, wie auch konkrete Beispiele zeigen. Daher habe eine Zentralisierung von Krankenhausbetten auch eine Zentralisierung von Ärzten zu Lasten des Ländlichen Raums zur Folge. In seiner Einführung bezog er sich auch auf die Äußerung von Minister Lucha und Minister Hauk diese Woche, die Gesundheitsversorgung gehöre zu den wichtigsten Aspekten der Daseinsvorsorge und deshalb wolle das Land künftig die Niederlassung von Ärzten in Ländlichen Räumen finanziell fördern.

In seiner Ausführung ging der Ettenheimer Rathauschef und Kreisrat zunächst auf die Historie des Ettenheimer Krankenhauses ein. So musste sich das Haus mit Strahlungswirkung in die gesamte Region schon mehrfach bewähren und wurde schon öfters in Frage gestellt. Dies habe einen besonderen Teamgeist geschaffen, aber auch Anstrengungen ausgelöst, sich als kleines Haus mit rund 80 Betten sinnvoll zu strukturieren. Die Klinik wurde mit dem universitären Lehrkrankenhaus Lahr fusioniert. Doppelstrukturen wurde abgebaut, die Struktur verschlankt, Verwaltung, Küche, und Labor Lahr angegliedert. "Damit ist Ettenheim sehr kostengünstig aufgestellt und kann seine Kraft auf die Arbeit mit den Patienten konzentrieren", so Bruno Metz.

Die bisher immer wieder vertretene Meinung, nur große Häuser sind medizinisch leistungsfähig und wirtschaftlich erfolgreich, seien selbst von den Gutachtern auf Nachfrage korrigiert worden. Bei speziellen Aufgabenzuweisungen sind auch kleinere Häuser äußerst leistungsfähig. Es kommt weniger auf die Größe als auf die Struktur und die Lage wie auch die Wettbewerbssituation an.

Ettenheim hat sich mit der Schmerztherapie und der Fußchirurgie zwei spezielle Aufgabenfelder erschlossen, die die jeweiligen Schwerpunkte für die ganze Ortenau sind. Sie leistet mit der Viszeralchirurgie, der orthopädischen Chirurgie und vor allem mit der inneren Abteilung zugleich die wichtige wohnortnahe Versorgung für die Menschen in der Südlichen Ortenau und ebenso im nördlichen Breisgau.

Der Rathauschef und Kreisrat forderte dazu auf, eigene Überlegungen anzustellen – ein Gutachten könne das eigene Denken der Ortenauer Entscheider nicht ersetzen und Kreispolitiker hätten anders als Gutachter, die aus Hamburg kommen, auch die besondere Situation und Struktur des Ortenaukreises zu berücksichtigen. Der flächengrößte Landkreis im ganzen Land täte gut daran, sich dezentral aufzustellen, so Ettenheims Bürgermeister.

„Im Gutachten gibt es eine Menge Zahlen, Auflistungen und vor allem Prognosen. Prognosen, die bis ins Jahr 2030, also zwölf Jahre in die Zukunft reichen, haben es an sich, dass sie deutliche Unschärfen aufweisen. Zu den Ungenauigkeiten und Unschärfen zählt dann auch, dass suggeriert wird, dass die Ortenau beim Festhalten des Status Quo, das heißt, acht Häuser im Unterschied zu praktisch allen Szenarien, die Lohfert & Lohfert entworfen hat, schon in den Jahren 2020 bis 2030 229 Millionen Euro ins Defizit rutscht,“ erklärt Bürgermeister Metz. Auf seine Frage nach der Grundlage für diese Berechnung habe er von den Gutachtern keine schlüssige Antwort erhalten.
Auch weitere Zahlenkolonnen hätten riesige Unwägbarkeiten. In keinem Szenario werde der Wert der Immobilien beschrieben, die dann plötzlich nutzlos werden würden. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Vernichtung öffentlichen Kapitals an aufgegebenen Standorten seien an keiner Stelle dargestellt.

Regelmäßig werde von der Maximalversorgung als erstrebenswertes Ziel gesprochen. Was noch an Luft sei zwischen dem, was in Lahr und Offenburg bisher schon gemacht werde und dem Begriff „Maximalversorger“, bleibe noch weitgehend nebulös. Das aber sei die Hauptbegründung für eine große Zentralisierung von Klinkbetten in Offenburg, so Bruno Metz.

Basis der Prognoserechnung für Lohfert & Lohfert sei das Jahr 2016. 2016 hatte das Krankenhaus Ettenheim über vier Monate eine Etage geschlossen und das Personal an das Krankenhaus Lahr ausgeliehen. Dies lasse sich gut am Case-Mix nachvollziehen, so Bürgermeister Bruno Metz. 2017 kam außerdem die vom Ortenaukreis gewünschte, hoch attraktive Fußchirurgie in Ettenheim dazu. Dennoch gelte das Jahr 2016 als Grundlage. Ettenheim werde nun dargestellt mit einem Bedarf von 58 Betten statt 77. Dazu komme, dass das Krankenhaus in Ettenheim seit einiger Zeit nur einen OP nutzen könne. Ab etwa Jahreswechsel sollen wieder beide genutzt werden können. Das heißt,. die Darstellung Ettenheims in der Bettenprognose bleibe weit hinter den realen Verhältnissen und den Möglichkeiten Ettenheims zurück.

Dann findet sich neuerdings ein Satz im Gutachten, dass der Leistungszuwachs im Bereich der Hand- und Fußchirurgie vor allem aus Lahr komme. Dies sei politisch gefährlich und auch komplett falsch, so Bürgermeister Metz. Das Team der Fußchirurgie kam im vergangenen Jahr aus Breisach und brachte neue Patienten in die Ortenau und keine, die an einem anderen Standort abgezogen werden, so Metz.

Es werde auch geschrieben: Die Zentralisierung diene der Personalhaltung und Personalgewinnung. Das treffe für einige zu. Aber genauso zutreffend sei, dass die Standorte in der Fläche den Menschen wohnortnahe Arbeitsplätze ermöglichen und unter den über 5.000 Kreisbediensteten sind über die Hälfte Teilzeitbeschäftigte. Werden wirklich alle einen langen Weg in ein zentralisiertes Klinikum auf sich nehmen?

Bürgermeister Bruno Metz gab zu Bedenken, dass es schon einmal ein Klinikgutachten gab, das gerade vier Jahre alt sei und als Überschrift „Schließen Sie keine Standorte“ hatte. Vier Jahre später gebe es nun ein Neues, das genau das Gegenteil beinhalte.

Nun gehe es darum, die Stärken, die dieses Krankenhaus habe, zu nutzen:

- durch seine Lage und seine Struktur
- durch seine Spezialisierung und Grundversorgung
- durch die Leistung seiner Mitarbeiter und die Atmosphäre im Haus.

Prof. Dr. Thomas Breyer-Mayländer, Gemeinderat und Prorektor an der Hochschule, hält eine Strukturdiskussion zwar für sinnvoll und notwendig, sieht in der Diskussion um Klinikstandorte aber eine große Gefahr der Verunsicherung von Patienten, Mitarbeitern und der gesamten Region. Die derzeit diskutierten Varianten seien nach schlichten Zentralisierungs- und Kostensenkungsansätzen ausgearbeitet. Im öffentlichen Gesundheitswesen könne man aber nicht nur das Ziel der schwarzen Null verfolgen und nur Produkte anbieten, die Gewinne bringen, so der Managementprofessor.

Für Kai-Achim Klare, Bürgermeister von Rust und stellvertretender Vorsitzender des Krankenhaus Fördervereins ist das Ettenheimer Krankenhaus die erste Anlaufstelle für die Menschen in der Region, wenn es um die ärztliche Versorgung geht. Die Menschen würden Ansprechpartner vor Ort suchen und auch für die Angehörigen sei die räumliche Nähe sehr wichtig.

Helmut Rau, Minister a.D. und Ettenheimer Bürger, wünscht sich eine breite Öffentlichkeit für die Diskussion und eine kritische Auseinandersetzung mit dem Gutachten. „Ich glaube nicht, dass Zentralisierung ein Konzept ist, das dem Menschen entspricht“, so Helmut Rau. Kleinere Einheiten würden eher den menschlichen Bedürfnissen entsprechen. Dies bestätigte auch Prof. Dr. Volker Schuchardt, Vorsitzender des Freundeskreis Klinikum Lahr e.V.
Patienten würden sich in kleineren Krankenhäusern wohler und geborgener fühlen, was sich wiederum positiv auf die Genesung auswirke. „Wir brauchen den Standort Ettenheim – das Krankenhaus Lahr-Ettenheim mit rund 500 Betten ist essentiell für die Gesundheitsversorgung der Menschen in der Region“, so der Arzt.
Auch für Boris Weber, niedergelassener Arzt in Ettenheim, seien große Krankenhäuser als Maximalversorger nicht unbedingt besser als kleinere Häuser. Angesichts der demografischen Entwicklung sei eine wohnortnahe Gesundheitsversorgung gerade für ältere Menschen wichtig. Je größer die Einrichtung, desto anonymer der Patient.

Dr. Reinhard Jäger, Vorsitzender des Fördervereins Kreiskrankenhaus Ettenheim, gab zu Bedenken, dass bis in zehn Jahren multiresistente Keime ein großes Problem für das Gesundheitswesen darstellen könnten. Gerade in großen Häusern würde man diese viel schwieriger in den Griff bekommen.

„Das Ettenheimer Netzwerk Gesundheit mag sich ein Szenario, wie es nunmehr im Raum steht, gar nicht vorstellen“, erklärte Klaus Schade vom Netzwerk. Seit 15 Jahren sei das größte Anliegen des Netzwerks, der Bevölkerung von Ettenheim und der Raumschaft aufzuzeigen, welche Breite an medizinischer Versorgung in Ettenheim angeboten wird. Diese Art der Information zu einem Gesundheitsthema oder Krankheitsbild wird von den Besuchern sehr geschätzt.

Das Netzwerk Gesundheit veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Stadt Ettenheim am Montag, 23. April, um 19.30 Uhr auch einen Informationsabend im Städtischen Gymnasium zur Zukunft des Ettenheimer Krankenhauses.

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