Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
Toni Vetrano und Roland Ries halten Kontakt

Grenzüberschreitende Mobilität, für die die Tram in kürzester Zeit ein Symbol wurde, ist in Zeiten von Corona nur eingeschränkt möglich. | Foto: rek
  • Grenzüberschreitende Mobilität, für die die Tram in kürzester Zeit ein Symbol wurde, ist in Zeiten von Corona nur eingeschränkt möglich.
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Kehl (st). Die Brücken für Fußgänger und Radfahrer zwischen Straßburg und Kehl sind verbarrikadiert, über die Europabrücke kann nur nach Kehl kommen, wer einen triftigen Grund hat. Trotzdem sind die Verbindungen zwischen Kehl und Straßburg nicht abgebrochen: Die beiden Oberbürgermeister Roland Ries und Toni Vetrano halten auch in diesen schweren Zeiten Kontakt und tauschen sich aus; auf Verwaltungsebene wird an wichtigen gemeinsamen Vorhaben weitergearbeitet – zum Beispiel an der geplanten rheinüberschreitenden Nutzung der Abwärme der Badischen Stahlwerke.

Kräfte bündeln

„Gerade in dieser ganz besonderen und schwierigen Situation möchten wir unsere Kräfte bündeln, um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen“, sind sich Roland Ries und Toni Vetrano einig. Und das heißt konkret: „Wir müssen mit vereinten Kräften alles dafür tun, die Ansteckung mit dem Corona-Virus zu verlangsamen: Nur dann kann es gelingen, unsere systemrelevante Infrastruktur aufrecht zu erhalten.“

Seit rund 30 Jahren arbeiten Kehl und Straßburg mit vereinten Kräften daran, die deutsch-französische Grenze möglichst durchlässig und für die Bürger im Alltag immer weniger spürbar zu machen. Der Rhein ist in dieser Zeit vom trennenden Grenzfluss zu einem integralen Bestandteil eines gemeinsamen Lebensraums geworden. Grenzkontrollen gehören seit der Einführung des Binnenmarkts einer Geschichte an, an die sich nur die Bewohner des Ballungsraums Straßburg-Kehl erinnern können, die das 50. Lebensjahr bereits überschritten haben. Die Verflechtungen sind seither immer enger geworden: Mehr als 4.000 Menschen aus dem Großraum Straßburg arbeiten in Kehl, mehr als 3.000 Personen mit französischem Pass leben in Kehl, die Zahl der Deutschen mit Wohnsitz in Straßburg wird auf mehr als 5.000 geschätzt, mehrere Hundert Kehler Kinder gehen in Straßburg zur Schule, etwa 150 Kinder und Jugendliche aus der Europastadt besuchen Kehler Bildungseinrichtungen.

Die grenzüberschreitende Mobilität, die sich auch in vier Millionen Einzelfahrten mit der Tram über den Rhein innerhalb eines Jahres ausdrückt, ist zu einer Selbstverständlichkeit im rheinübergreifenden Alltag geworden. Und gerade deswegen kann die systemrelevante Infrastruktur „nur dann aufrechterhalten werden, wenn wir zu klaren Absprachen kommen“, sind sich die beiden Oberbürgermeister einig. Ärzte, Pflegepersonal in Krankenhäusern und Pflegeheimen, Mitarbeitende in der Energie- und Wasserver- und Abwasserentsorgung, in der Lebensmittelversorgung, in allen Bereichen der Daseinsvorsorge „müssen den Rhein weiterhin in beiden Richtungen passieren können“, mahnen Toni Vetrano und Roland Ries: „Es gibt Krankenschwestern aus Straßburg, die im Kehler Klinikum arbeiten und Krankenschwestern aus Kehl, die in der Straßburger Uni-Klinik Dienst tun.“ Auch im Epilepsiezentrum der Diakonie Kork arbeitet eine ganze Anzahl von Beschäftigten mit Wohnsitz in Straßburg.

Schließungen

Dass das Leben im rheinübergreifenden Ballungsraum weit über den Einkauf auf der jeweils anderen Rheinseite hinausgeht, hat für OB Toni Vetrano auch die Diskussion um die Schließung von Schulen und Kindertageseinrichtungen in Kehl gezeigt: Der Beschluss, die Bildungseinrichtungen vom 16. März an zu schließen, musste in Kehl bereits am 12. März gefasst werden und damit drei Tage, bevor das Land Baden-Württemberg die Schließung aller Schulen und Kindertageseinrichtungen ab dem 20. März verfügt hat. Der Grund dafür waren nicht etwa Corona-Infektionen in den Einrichtungen, sondern der Mangel an Lehr- und Fachkräften. Nachdem das Robert-Koch-Institut die gesamte Région Grand Est zum Risikogebiet erklärt hatte, mussten alle Beschäftigten, die in Straßburg wohnen und in diesen Einrichtungen arbeiten, für zwei Wochen zu Hause bleiben.

Kontaktverbot

Dem Straßburger Oberbürgermeister Roland Ries ist es wichtig zu betonen, wie schockiert er war, als er am Abend des 12. März – im Nachhinein – über die einseitige Entscheidung Deutschlands informiert wurde, Grenzkontrollen einzuführen. Für ihn war es „ein abrupter Auftakt für die Verschärfung der Kontrollen auf beiden Rheinseiten. Beide Oberbürgermeister begrüßen und respektieren selbstverständlich „die absolut notwendigen Entscheidungen unserer beiden Nationalstaaten“. Das Kontaktverbot sei auf beiden Rheinseiten weiterhin das Gebot der Stunde und müsse eingehalten, Verstöße müssten sanktioniert werden. Beide freuen sich darüber, dass schwerkranke Patienten aus dem Elsass in deutschen Kliniken aufgenommen worden sind – erst am Sonntag, 29. März, hat ein deutsches Militärflugzeug zwei Patienten aus Straßburg abgeholt und nach Ulm gebracht. Dies sei ein deutliches Zeichen, dass Europa zusammenhalte, sind sich Roland Ries und Toni Vetrano einig.

Zusammenhalt

Dennoch ziehen die beiden aus der gegenwärtigen Situation auch das Fazit: „Es gilt, den großen Spagat zwischen dem Zusammenhalt Europas einerseits und den Grenzschließungen andererseits zu schaffen.“ Die systemrelevante Infrastruktur werde nur dann aufrechterhalten werden können, „wenn die Menschen von beiden Seiten des Rheins ihre entsprechenden Aufgaben wahrnehmen können“. Das bedeute ein klares Ja zu den Kontrollen an der deutsch-französischen Grenze, aber: „mit Bedacht und Augenmaß“, fordern Roland Ries und Toni Vetrano unisono. Für Roland Ries ist „die europäische Solidarität im Kampf gegen die Pandemie unerlässlich. Es handelt sich dabei um einen kategorischen Imperativ, denn: Ohne diese Solidarität könnte die Union in eine moralische und systemische Krise stürzen. Wir haben in Straßburg, am Sitz des Europäischen Parlaments, die zusätzliche Verantwortung dafür, diese Solidarität durch die Absprachen mit unseren deutschen Nachbarn zu demonstrieren.“

Appell an Bürger

An alle Bürger im gemeinsamen Ballungsraum appellieren die Oberbürgermeister, sich unbedingt an die Regeln zu halten, soziale Kontakte zu minimieren, zu Hause zu bleiben und ausschließlich zum Arbeiten den Rhein zu überqueren. Nur wenn alle diese Grundregeln respektierten, könne man Menschenleben retten und verhindern, dass es zu noch stärkeren Einschränkungen kommen werde. Dank sprechen Roland Ries und Toni Vetrano all den Menschen aus, die den durch die Grenzkontrollen beschwerlicheren Arbeitsweg jeden Tag auf sich nehmen, damit die existenziell wichtigen Einrichtungen auf beiden Rheinseiten funktionsfähig bleiben: „Sie alle zeigen ein hohes Verantwortungsbewusstsein und großes Engagement für unser binationales Gemeinwesen. Am Tag nach der Krise, wird es in hohem Maße ihnen zu verdanken sein, dass wir unsere übliche rheinübergreifende Kooperation wieder aufnehmen können – mit noch mehr Engagement als bisher.“

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