Schiedsrichtermangel – die Situation ist äußerst kritisch
Aggressivität gegenüber Unparteiischen nimmt zu

Christine Baitinger aus Friesenheim-Oberschopfheim hat ihre aktive Zeit inzwischen zwar beendet, war aber eine von Deutschlands Top-Schiedsrichterinnen. Höhepunkte ihrer Laufbahn waren 2007 bei der Weltmeisterschaft in China und 2008 bei der Olympiade in Peking. Als Unparteiische für die Frauen-Bundesliga war sie zwar immer durch Security-Leute geschützt, kennt aber auch die Anfeindungen, denen Schiedsrichter ausgesetzt sind. Wie viele Fußballbegeisterte beobachtet sie mit großer Sorge die zunehmenden Probl | Foto: Michael Bode
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  • Christine Baitinger aus Friesenheim-Oberschopfheim hat ihre aktive Zeit inzwischen zwar beendet, war aber eine von Deutschlands Top-Schiedsrichterinnen. Höhepunkte ihrer Laufbahn waren 2007 bei der Weltmeisterschaft in China und 2008 bei der Olympiade in Peking. Als Unparteiische für die Frauen-Bundesliga war sie zwar immer durch Security-Leute geschützt, kennt aber auch die Anfeindungen, denen Schiedsrichter ausgesetzt sind. Wie viele Fußballbegeisterte beobachtet sie mit großer Sorge die zunehmenden Probl
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Ortenau. Beleidigungen und sogar Tätlichkeiten – Schiedsrichter werden übel angegangen. Kein Wunder, dass immer weniger dieses Ehrenamt ausüben möchten. Martin Röderer hat sich mit den Hintergründen und den Auswirkungen beschäftigt.

„Bist du blind? Hast du Tomaten vor den Augen? Schiedsrichter, Telefon, Schiri du Pfeife!“ So oder ähnlich schallt es immer wieder Spieltag für Spieltag von den Sportplätzen in der Region. „Wo hesch du Pfeife Abseits gsehe?“, waren vor einiger Zeit die Worte einer Zuschauerin aus dem Fanblock bei einer Begegnung der Kreisliga B, Staffel 2, FV Altenheim gegen die SG Weier/Bühl.

Wer sind diese „Männer in Schwarz“, die sich Wochenende für Wochenende bereit erklären, Fußballspiele in den unteren Klassen zu leiten und hierbei verbalen Attacken und anderen negativen Begleiterscheinungen ausgesetzt sind? Das äußere Erscheinungsbild hat sich in der Zwischenzeit aber gewandelt, es kam Farbe ins Spiel. Neben der früher üblichen schwarzen Kleidung dominieren Farbtupfer, ähnlich der Entwicklung bei den Fußballstiefeln der Protagonisten auf dem Platz. Vor einiger Zeit tauchte die Frage auf, wann es so weit ist, dass sich für die Spiele in den unteren Klassen des Fußballbezirks Offenburg keine Frauen und Männer mehr finden lassen, um als Spielleiter zur Verfügung zu stehen. “Die Ampel steht noch nicht auf Rot, aber sie ist schon orange“, so die Kernaussage in einem Interview vor einigen Monaten. Interviewpartner war kein Geringerer als der Lehrwart für Schiedsrichter im Bezirk Offenburg, Thorsten Weber, selbst aktiver Schiedsrichter seit 1999.

Anlässlich der Begegnung FV Altenheim gegen die SG Weier/Bühl, welche vor einiger Zeit von Thorsten Weber geleitet wurde, auf die momentane Situation angesprochen, seine knappen Worte: „Die Situation ist äußerst kritisch.“ Gründe hierfür sind zu Genüge aufzuführen. „Die Vereine sind in der Pflicht, sie werden von uns mehrfach angeschrieben, um Interessenten für die Ausbildung zu melden. Im laufenden Jahr konnten lediglich acht Neulinge ausgebildet werden beziehungsweise die erforderliche Lizenz erwerben“, sagt der Vorsitzende des Fußballbezirks Offenburg, Manfred Müller aus Ichenheim. „Diejenigen, die uns von den Vereinen geschickt werden, erfüllen oft mal gerade die Mindestanforderungen“, so die Aussage von Thorsten Weber. Es stellt sich die berechtigte Frage, weshalb sich nicht mehr Interessenten für eine Schiedsrichterausbildung zur Verfügung stellen.

„Das ganz große Problem ist das Verhalten im Umfeld der Sportplätze und hier nicht das der Spieler, sondern das der Eltern von Spielern in Jugendmannschaften, von Betreuern und Trainern im Jugendbereich. Alles ist deutlich aggressiver geworden, das animiert nicht gerade junge Menschen, die Schiedsrichterlaufbahn einzuschlagen“, beschreibt der Bezirksvorsitzende die Situation. Nach den Aussagen von Thorsten Weber wäre für den jährlich einmal stattfindenden Neulingslehrgang eine Zahl von 40 erforderlich. Ganze acht waren es, wie bereits geschildert. Todesfälle, Krankheiten, Wegzug, Studium oder auch disziplinarische Gründe sind es, die dazu führen, dass pro Jahr 20 bis 30 Kollegen wegfallen, die ersetzt werden müssen. Es müssen immer weniger Schiedsrichter dann für immer mehr Spiele aufkommen, die Anstrengungen für Einzelne werden größer. Die Bereitschaft, am Wochenende zwei, drei Spiele zu pfeifen, ist aber oft nicht vorhanden. Das kann man eigentlich auch nicht verlangen, denn es handelt sich immer noch um ein Ehrenamt.

Ist der Spielbetrieb deshalb kurzfristig in Gefahr? Laut Weber eindeutig ja, vor allem die neutrale Spielleitung in den unteren Klassen sieht er als gefährdet an. Es ist absehbar, dass weitere Spielklassen in die Vereinsleitung übergeben werden, mit allen Vor- und Nachteilen. Bereits heute werden Spiele aufgrund Schiedsrichtermangels in den Austausch gegeben. In der südlichen Ortenau kommen dann Schiedsrichter aus dem Bezirk Freiburg zum Einsatz, im Norden aus dem Raum Baden-Baden oder im Kinzigtal aus dem Schwarzwald.

200 Fußballspiele in nur einer Woche

Als Experte fragte unsere Zeitung den stellvertretenden Schiedsrichterobmann Wilfried Pertschy. Laut seinen Angaben sind im Fußballbezirk Offenburg derzeit 235 Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter aktiv. 60 weitere sind als passiv beziehungsweise aufgrund ihrer Verdienste um das Ehrenamt Schiedsrichter als Ehrenmitglieder geführt. Da auch Schiedsrichter verletzt sind, Urlaub haben oder anderen Verpflichtungen nachkommen müssen, stehen die 235 möglichen leider nie alle zeitgleich zur Verfügung. Es gibt heute schon Spieltage, an denen viele Schiedsrichter nicht einsatzbereit sind und die benachbarten Bezirke aushelfen müssen. Ohne Doppel-einsätze von Schiedsrichtern wäre die Besetzung von Spielen mit amtlichen Schiedsrichtern teilweise nicht möglich.
 
Welche Anzahl von Schiedsrichtern ist pro Spieltag erforderlich? „In der Kalenderwoche 18 vom 1. bis zum 7. Mai 2017 hatten wir 264 Spiele, davon 88 ohne Schiedsrichtereinteilung, da bereits jetzt schon nicht alle Staffeln mit Schiedsrichtern besetzt werden, zum Beispiel Kreisliga C oder niedere Jugendklassen. Dazu kommen noch pro Spieltag rund acht Schiedsrichtergespanne, also 24 Schiedsrichter, die überbezirklich unterwegs sind. Ergibt in Summe für diese Woche 200 Spiele, die mit amtlichen Schiedsrichtern zu besetzen sind“, so der für die „Schiedsrichterei“ zuständige Verbandsfunktionär.

Und wie sieht es mit der Bezahlung der ehrenamtlich engagierten Frauen und Männer aus? Diese richtet sich nach der Spielklasse, in welcher das Spiel stattfindet und beginnt bei 25 Euro für ein Kreisliga-Spiel, zusätzlich gibt es eine angemessene Fahrpauschale. Ab einer gewissen Grenze ist die Einnahme zu versteuern.

Die Ausbildung findet im Rahmen eines Lehrgangs statt, der sich über drei Wochenenden erstreckt, alles endet mit einer theoretischen Prüfung. Danach ist man Schiedsrichter auf Probe und erhält einen vorläufigen Schiedsrichterausweis, nach Absolvierung von 20 Spielen den DFB-Ausweis. Die permanente Weiterbildung erfolgt im Rahmen monatlicher Treffen in sechs Gruppen im Bezirk Offenburg.

Vereine, die zu wenig Schiedsrichter stellen, werden zur Kasse gebeten und müssen Schiedsrichter-Ausfallgebühren berappen. Wird das Soll überschritten, kommen die Fußballvereine in den Genuss von Schiedsrichter-Übersollprämien. 

Große Unterschiede zwischen Lokalsport und Bundesliga 

Wie sehen die Basis, Vereinsfunktionäre und Trainer die ganze Thematik um weitere Spiele, die zukünftig nicht mehr mit Verbandsschiedsrichtern besetzt werden können? Hierzu zwei Aussagen von Frank Sachs, Vorstand Sport beim TUS Windschläg, und Horst Hilger, Trainer der SG Weier/Bühl: „Für mich unvorstellbar, dass weitere Spiele, nämlich solche der Kreisligen B, in Vereinshände gegeben werden, da hier alle Mannschaften das Aufstiegsrecht haben“, so Sachs. Und Horst Hilger erklärt: „Ein absolutes No-Go! Ich schaue da nur auf die Spiele in den Kreisligen C, die doch mehr als lieb immer wieder 'verpfiffen' werden“.

Wie schwer es ein Schiedsrichter in den unteren Klassen ohne Assistenten hat, fehlerfrei zu agieren, hierüber muss sicherlich nicht gesprochen werden. Schaut man sich seinen Pendant in der Bundesliga an, umgeben von zwei Assistenten und dem vierten Offiziellen, einer Hintertorkamera und dem zukünftigen Videobeweis, fällt einem das Spiel Borussia Dortmund gegen Hoffenheim ein. „Vor dem 1:0 übersah Schiedsrichter Brych die Abseitsstellung des Torschützen Reus, beim Pass von Castro entschied er nach unabsichtlichem Handspiel von Pavel Kaderabek auf Elfmeter“, so die Aussagen in den Presseberichten. In diesem Lichte gesehen sind die Leistungen des auf sich alleine gestellten Spielleiters in den unteren Klassen noch mehr zu schätzen. Dies sollte auch dazu führen, mehr Wertschätzung entgegenzubringen, respektvoller zu sein, die Leistungen zu honorieren und mehr Nachsicht zu üben. Passend hierzu eine weitere Aussage von Thorsten Weber: “Die gefährlichste Entwicklung ist, dass unsere Schiedsrichter in der Region am Sonntag damit verglichen werden, was am Samstag in der Bundesliga gepfiffen wurde.

Dabei sind diese beiden Welten immer weniger vergleichbar. Wenn zum Beispiel Frank Ribery jemanden umstößt, mag das in der Bundesliga Gelb bedeuten, in der Kreisliga ist das immer Rot. In der Bundesliga gibt es eine andere Auslegung der Regeln. Im unteren Bereich können solche Dinge nicht geduldet werden, sonst bekommt man kein Spiel mehr ruhig über die Runden“. 

Tolle Aktion: „Danke Schiri“

Erfreulich ist die Tatsache, dass es auch Kampagnen gibt wie die Aktion „Danke Schiri“ im Südbadischen Fußballverband. Hier wurden unlängst vom Bezirk Offenburg Kerstin Spinner, Markus Sester und Manfred Spothelfer geehrt, die nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz durch großes Engagement überzeugen. „Sie sind die wahren Helden der Kreisliga“, so SBFV-Präsident Thomas Schmidt in seiner Laudatio. Schmidt hob bei dieser Gelegenheit das Ehrenamt hervor. Ohne den 23. Mann würde vieles nicht gehen. Wir möchten uns als Redaktion dem anschließen und die Unparteiischen entsprechend würdigen.
Von Martin Röderer

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