Nachtleben in Straßburg und Kehl
62 Deutsche und Franzosen auf Erkundungstour

Eine Gruppe war mit dem Fahrrad unterwegs. | Foto: Stadt Kehl
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Kehl/Straßburg (st). Was ist los in der Nacht in Straßburgs grenznahen Vierteln und in Kehl, welchen Menschen begegnet man zu später Stunde und nach Mitternacht, was machen sie draußen und wie bewegen sie sich fort? Wie unterschiedlich sich das Nachtleben in Kehl und in Straßburg darstellt, haben 62 Bürger aus beiden Städten in der Nacht von Freitag auf Samstag von 19 Uhr bis 2 Uhr nachts erkundet – eine Gruppe war zu Fuß unterwegs, eine mit dem Fahrrad und eine mit der Tram. Ausgerüstet mit einem Interviewleitfaden haben die Teilnehmer an den nächtlichen Spaziergängen Mitbürger interviewt und auch danach gefragt, welche Verbesserungen sie sich wünschen würden. Von ihren ersten Erfahrungen berichteten sie bei einem Zwischenstopp in Straßburg um 22.30 Uhr Oberbürgermeister Toni Vetrano; Eric Schultz, Beigeordneter in Roland Ries Stadtregierung begleitete die Fahrradgruppe. Beide hatten die Teilnehmer in der Kehler Mediathek zusammen mit deren neuem Leiter, Hannes Britz, begrüßt.

Ein Salsa-Kurs auf der Plattform über dem Hafenbecken, Menschen sitzen auf den Terrassen von Cafés, Bars und Restaurants, flanieren entlang des Wassers, unterhalten sich, genießen den lauen Sommerabend. So präsentiert sich die Malraux-Halbinsel, wo die große Straßburger Mediathek längst durch hohe Wohntürme ergänzt wurde, den Teilnehmern der nächtlichen Spaziergänge. Die Menschen, die ihnen dort Auskunft geben, sind hier, um einen angenehmen Abend zu verleben, das neue Zentrum kommt an, wird auch dem Familienbesuch gezeigt.

Ganz anders ist die Atmosphäre dort, wo in Kehl zu nächtlicher Stunde wohl am meisten los ist: 600 in der Regel junge Leute, vorwiegend französischer Nationalität, tummeln sich nach Auskunft eines Türstehers bereits im Gold Club in der Königsberger Straße – bei den französischen Teilnehmern der nächtlichen Spaziergänge heißt die Disco nur „Gold“. Bis aus Sélestat, aus Mulhouse, ja sogar aus Belfort reisen die Nachtschwärmer an. Es ist unübersehbar, wenn wieder eine Tram aus Straßburg angekommen ist: Ein ganzer Pulk von jungen Leuten kommt dann die Königsberger Straße entlang.

Vor allem die letzten beiden Straßenbahnzüge sind voll von jungen Menschen, deren Kleidung über ihr Ziel keinen Zweifel aufkommen lässt. In der letzten Tram sei außer den Disco-Fans nur ein französisches Ehepaar mit Wohnsitz in Kehl gewesen, das von einem Restaurant-Besuch in Straßburg nach Hause fuhr, berichtet ein Mitglied der Tram-Gruppe später beim Abschlussgespräch in der Mediathek. Die nächtlichen Spaziergänger, die alle irgendwann am Gold Club vorbeikamen, sorgen sich vor allem um die Sicherheit der Disco-Besucher: Während die Interviews geführt werden, rasen immer wieder Autos mit hoher Geschwindigkeit durch die Königsberger Straße, finden gefährliche Überholmanöver statt. Einige der Befragten bemängeln, dass die Straße zu schlecht ausgeleuchtet sei; vor allem auf dem Rückweg zur Tram fühlten sie sich nicht immer sicher.

Bevor die grenzüberschreitende Tram ihren Betrieb aufgenommen hat, brachte ein Shuttle-Bus des Gold Clubs die französischen Gäste vom Einkaufszentrum Rivétoile nach Kehl und wieder zurück. Seit die Tram fährt, ist dieser überflüssig geworden, wurde nicht mehr genutzt, erzählt ein Security-Mitarbeiter. Ein großer Teil der Disco-Fans kommt mit den späten Tramverbindungen nach Kehl und nutzt die am frühen Morgen, ab 4.52 Uhr, um wieder nach Hause zu fahren. Weil der Gold Club allerdings erst um 5 Uhr schließt, wäre einigen der Interviewten eine Verbindung zwischen der ersten und der zweiten, um 5.27 Uhr, am liebsten.

Im Rheinhafen-Viertel trifft die Radfahrergruppe auf Jugendliche, die es sich auf dem neuen Platz vor der kleinen Kirche gemütlich gemacht haben. Sie wohnen in anderen Stadtbezirken Straßburgs, verbringen aber lieber im Rheinhafen-Viertel die Zeit, bis es spät genug ist, um mit der Tram weiter nach Kehl in die Disco zu fahren. Ein Bewohner des Viertels beklagt, dass Besucher von Kehler Spielhallen und Automaten-Bistros das Quartier zuparkten und von dort zu Fuß über die Trambrücke gingen. Tagsüber stellten Patienten oder Besucher der Rhéna-Klinik ihre Fahrzeuge überall im Viertel ab, die Einwohner wüssten kaum noch, wohin mit ihren eigenen Autos. Ein anderer Anwohner klagt, dass es keine Läden im Rheinhafen-Viertel mehr gebe, seit die Tram da sei; Bäcker und Metzger hätten inzwischen geschlossen.

Nachdem die Spielhallen im Gewerbegebiet Läger um Mitternacht zugemacht haben, sind die Spieler dorthin umgezogen, wo sich Bistros mit Spielautomaten befinden: Die Radgruppe findet in der Kinzigstraße zugeparkte Gehwege, Autos in den Brandschutzzonen, vor Ausfahrten und Garagen von Anwohnern. Offene Türen in der Marktstraße geben den Blick auf blinkende Spielgeräte frei.

Beim Abschlussgespräch in der Mediathek, bei dem die Teilnehmer auch ihre Eindrücke schildern können, stellt einer fest, dass er die Luft in Kehl besser finde als in Straßburg. Es rieche weniger nach Benzin, sagt er, er hätte sich fast wie in der Provence gefühlt; „ich habe sogar Grillen gehört“. Damit bringt er die Erfahrungen aus den nächtlichen Spaziergängen auf den Punkt: Die einen kommen nach Kehl, um zu feiern, die anderen, weil sie mehr Ruhe haben möchten, als ihnen die Großstadt Straßburg bieten kann.

Die Interviews, welche die 62 nächtlichen Spaziergänger geführt haben, werden nun von den Mitarbeitern der Stabsstelle im Straßburger Rathaus ausgewertet und zusammengefasst. Sie erstellen auch eine Übersicht über die Eindrücke, welche die Teilnehmer in den eigens für diese Nacht vorbereiteten Heften notiert haben. Alle Ergebnisse werden dann bei einem neuerlichen Treffen der Gruppe vorgestellt und diskutiert. Dabei wollen die Gruppenmitglieder auch feststellen, wie die Resultate und die Schlüsse, die sie daraus ziehen, der Öffentlichkeit präsentiert werden sollen. Ein Fazit stand am Ende der langen Nacht, nach 2 Uhr, bereits fest: Die meisten Teilnehmer würden ein weiteres Mal mitmachen; allerdings lautete der Vorschlag, später loszugehen und dafür noch zu erkunden, wer und warum in den frühen Morgenstunden unterwegs ist.

Eine Gruppe war mit dem Fahrrad unterwegs. | Foto: Stadt Kehl
Begrüßung der Teilnehmer in der Mediathek | Foto: Stadt Kehl

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