Angedacht: Roland Kusterer
Liebe wird mehr, wenn man sie teilt

Roland Kusterer | Foto: privat

Wer am heutigen Sonntag einen evangelischen Gottesdienst besucht, der hört meist Fällen eine Predigt zu Matthäus 25,14-30. Dort steht das Gleichnis von den anvertrauten Talenten.

Jesus erzählt folgende Geschichte: Ein reicher Mann vertraut seinen drei Knechten sein Vermögen an, damit sie damit wirtschaften können. Als er wieder zurückkommt und Rechenschaft von seinen Knechten fordert, da lobt und belohnt der reiche Herr die beiden Knechte, die mit dem anvertrauten Geld das Doppelte hinzugewonnen haben. Sie bekommen nun doppelt so viel Geld anvertraut. Aber der dritte Knecht, der das Geld nur vergraben und nichts hinzugewonnen hat, den beschimpft er und lässt ihn aus dem Haus werfen.

Eigentlich ist der Kapitalismus mit seinem Prinzip, Vermögen durch Investitionen und Zinsen zu verdienen, ziemlich umstritten. Man lässt das Geld für sich arbeiten; und wir wissen nur zu genau, dass das oft zu Lasten von Schwächeren geht, die dafür ausgebeutet werden. Darum ist das Gleichnis von den anvertrauten Talenten eigentlich eine echte Provokation. Es klingt, als sollten sich Christen hier am allgemeinen Wuchergeschäft beteiligen und als wäre es geradezu ein Verbrechen, das nicht zu tun. Das wäre auch so, wenn hier wirklich von Geld die Rede wäre. Aber Jesus spricht hier eigentlich von den Gaben, die uns Gott anvertraut hat. Das Gleichnis möchte uns ermutigen, unsere Talente zu nutzen. Gemeint sind die Talente zum Guten, unsere Fähigkeit, anderen Gutes zu tun. Da hat Gott nämlich ein großes Zutrauen in uns. Paulus nennt diese Begabungen Charismen, was wörtlich heißt: Geschenke aus Gnade. Wir sagen ja auch von begabten Menschen: Er hat Charisma! Jeder Mensch hat Charismen, auch wenn es manchmal sehr lang dauert, bis man sie entdeckt. Unsere Gaben sind oft verschüttet, weil wir uns selbst nicht wertschätzen. Jesus aber sagt: Jeder Mensch hat eine Gabe, und alle Gaben sind gleich wertvoll. Jedem sind mehr oder weniger Talente anvertraut, und sei es auch nur die kleine Gabe, freundlich zu lächeln oder auf dem Gemeindefest Kaffee zu kochen. Das kann in Wahrheit eine große Begabung sein, denn wer sehnt sich nicht nach einem freundlichen Lächeln? Und wie gut kann ein Kaffee tun! Mit diesen Pfunden sollen wir wuchern. Weil die Liebe nämlich eine Gabe Gottes ist, die mehr wird, wenn man sie teilt und die weniger wird, wenn man sie ängstlich für sich behält. Darum geht es hier: Um die Liebe. Halte sie nicht ängstlich zurück, sondern investiere sie. Sei mutig. Es ist töricht, die Liebe unter Verschluss zu halten aus lauter Angst, man könne sie verlieren. Beim Geld mag das so sein, es ist immer ein Risiko, es zu investieren. Bei der Liebe aber nicht. Sie fängt erst richtig an zu leuchten, wenn wir sie verschwenden. Man kann also das Gleichnis zusammenfassen in dem Satz: Habe keine Angst, deine Liebe anderen zu zeigen!

Roland Kusterer, evangelischer Pfarrer, Oberkirch

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.