Eine Frage, Frau Lötsch
Debatte sollte geführt werden

Carmen Lötsch | Foto: gro

Wer darf die Gedichte von Amanda Gorman übersetzen? Christina Großheim sprach mit Carmen Lötsch, Geschäftsführerin des Europäischen Übersetzerpreises, über die Diskussion.

Was muss eine gute Übersetzung können?
Eine gute literarische Übersetzung findet nicht nur die richtigen Worte, sondern auch den richtigen Duktus, den Rhythmus des Originals und weckt bei den Lesern vergleichbare Gefühle wie das Originalwerk. Die Übersetzung eines Werkes etwa aus dem Jahr 1960 wird daher in den sechziger Jahren etwas anders aussehen als eine Übersetzung heute.

Was zeichnet gute Übersetzer aus?
Sie beherrschen nicht nur die Ausgangssprache, sondern auch die Zielsprache perfekt. Herausragende Übersetzungen gelingen dann, wenn beide Welten auch bekannt sind. Vor allem muss sich die übersetzende Person selbst weit zurücknehmen. Einerseits ist sie eine Art Co-Autor, andererseits ist es nicht ihr Werk. Manchmal arbeiten Übersetzer und Autorin eng zusammen. Andere Autoren lehnen eine solche Kooperation gänzlich ab.

Sollte die Lebenswelt der Autoren berücksichtigt werden?
Es ist zumindest so, dass sich die Übersetzenden in die Lebenswelt des Textes sehr gut einfühlen müssen. Bei historischen Werken nutzen wir dafür Literatur und historisches Wissen, bei zeitgenössischen Übersetzungen helfen Reisen, Begegnungen und natürlich gemeinsame Erfahrungen.

Wie stehen Sie zur Debatte?
Es ist tatsächlich eine, die geführt werden muss und darf. Allerdings sollten bei zeitgenössischen Werken die Autoren das letzte Wort haben. Wenn ich richtig informiert bin, hat Amanda Gorman Marieke Lucas Rijneveld als Übersetzerin selbst mit ausgesucht. Das ist die richtige Entscheidungsinstanz.

Reicht es nicht, die Sprache zu beherrschen?
Wir stehen derzeit am Anfang einer großen Gleichberechtigungsdebatte. Und wer will Menschen, die jahrhundertelang unterdrückt wurden, vorschreiben, was sie bitteschön zu fühlen hätten? Es ist sicher nicht an uns, das zu wissen. Im vorliegenden Fall von Amanda Gorman halte ich die Wahl von Marieke Lucas Rijneveld aus fachlicher Sicht für äußerst glücklich. Aber wir müssen auch anerkennen, dass People of Color bisher selten gefragt werden, wichtige Werke zu übersetzen, wichtige Rollen in Spielfilmen zu übernehmen, sichtbar zu werden in unserer nur scheinbar weißen Welt. Das kann so nicht bleiben.

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