Produktiv wie lange nicht mehr
Shutdown setzt bei "Zweierpasch" Kreativität frei

Erfolgreiche Hip-Hopper: Die Zwillinge Till und Felix Neumann stammen aus Kehl. | Foto: "Zweierpasch"
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  • Erfolgreiche Hip-Hopper: Die Zwillinge Till und Felix Neumann stammen aus Kehl.
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Kehl (ds). Die Zwillingsbrüder Till und Felix Neumann aus Kehl stehen mit ihrer Hip-Hop-Band "Zweierpasch" nicht nur für richtig gute Musik, sondern auch für ein vereintes Europa. Ihre Texte sind sowohl deutsch als auch französisch, zusammen mit ihren sieben Bandkollegen, die teils aus der Ortenau stammen, zeigen sie politisches Engagement. 2018 wurde die Musikgruppe mit dem Adenauer-de Gaulle-Preis für die deutsch-französische Zusammenarbeit ausgezeichnet. Die Corona-Krise geht wie an allen Künstlern auch an der Band nicht spurlos vorbei. Unterkriegen lassen ist für Till und Felix Neumann aber keine Option. Im Gespräch berichten sie, wie sie versuchen, das Beste aus der Situation zu machen.

Wie hat die Corona-Krise "Zweierpasch" getroffen?
Till: Hart. Wir kämpfen wie viele andere um unsere Existenz. 2019 haben wir für 30.000 Euro das Album „Un peu d’Amour“ produziert. Das sollte ab dem Frühjahr wieder eingespielt werden. Alles geplatzt. Auf unabsehbare Zeit hat sich unser Einkommen auf fast null reduziert. Die Ausgaben laufen weiter. Wir haben aber gelernt: Ein Shutdown setzt viel Kreativität frei. Die goldene Formel, wie man davon finanziell leben kann, haben wir leider nicht gefunden. Von den hochgelobten Hilfspaketen haben wir bisher keinen Cent gesehen – trotz 35 abgesagter Events und Verlusten im mittleren fünfstelligen Bereich. Der Grund: Musiker leben mit existenziellen Unsicherheiten, wir haben weitere Teilzeitjobs, um das etwas abzufedern. Dafür, dass wir behutsam wirtschaften und doppelt ackern, kriegen wir jetzt eins auf den Deckel. Ein sehr ungutes Gefühl.

Wie schnell haben Sie beschlossen, der Krise zu trotzen?
Felix: Es war zunächst keinem klar, wie lange der Shutdown anhält. Die Anfangszeiten haben enormen Tatendrang freigesetzt. Unsere Crowdfunding-Aktion, vier Corona-Videosessions aus Wohnzimmern und drei Livestreams zeigen das gut. Mit zunehmender Durststrecke werden nun alle härter auf die Probe gestellt. Die Suche nach neuen Konzepten für den Musikerberuf läuft. Uns beschäftigt das Tag und Nacht. Wir trotzen weiter.

Welche Aktionen haben Sie schon gestartet und was ist wann geplant?
Till: Krise ist Chance. Wir sind so produktiv wie lange nicht mehr. Seit dem Shutdown haben wir neun Videos veröffentlicht: Darunter zwei Produktionen zu unserer Westafrika-Tour, unter anderem "Globetrotter", und das One-Take-Video zum Song „Fake“. Unser Statement in Bild und Ton zu Verschwörungstheorien – auch in Corona-Zeiten.

Wie werden die Aktionen von den Fans auf beiden Seiten des Rheins angenommen?
Felix: Oft gut, aber es gibt auch genügend Hater. Feedback gibt es vor allem für unsere Releases und öffentlichen Auftritte, per Facebook, Instagram, Whatsapp oder Mail. In Zeiten der Schlagbäume ist unsere Arbeit für offene Grenzen brandaktuell. Dazu haben wir übrigens auch einen Song gemacht: „Grenzen auf – Ouvrez les frontières“, direkt im Anschluss an die Regenschirmdemo in Kehl. Unglaublich, dass wir mitansehen müssen, wie Länder sich plötzlich wieder abschotten. Vor ein paar Wochen haben wir ein Livestreamkonzert aus dem Kulturhaus Kehl gesendet und das Finale unseres Kreativwettbewerbs Ecole du Flow moderiert. Hunderte Schüler aus Deutschland und Frankreich waren live dabei. Es geht also, auch ohne Vor-Ort-Events.

Werden Sie aus der Krise irgendetwas mitnehmen, was auch weiter Bestand haben wird?
Till: Wir haben unser Videorepertoire ordentlich ausgebaut. Ein wichtiger Pfeiler. Das wäre ohne Corona nicht so schnell gegangen. Auch unseren neuen Proberaum haben wir dank Crowdfunding und freier Zeit einrichten können. Zudem sind viele Songs fertig geworden oder in Arbeit. Die Zeit fühlt sich nach einem ziemlichen Schlamassel an. Aber was wir erarbeitet haben, wird Bestand haben. Mit der Band haben wir neue Wege der Zusammenarbeit ausgelotet – auch wenn die bei unserem aktuellen Songwriting-Tempo mit den Stücken nicht immer hinterherkommt. Music never stops.

Was raten Sie aus den eigenen Erfahrungen heraus Ihren Künstlerkollegen?
Felix: Nicht zu lange in Planungen festfahren, sondern umsetzen. Die Corona-Zeit bringt Unsicherheit und erfordert Neues: Wie klappt das Livestreamkonzert, wie das Recording auf Distanz, wie der Gig ohne gemeinsame Probe? Setzt es um und pimped das Konzept fürs nächste Mal. Dazu sollte man sich selbst Fristen setzen. Und: Pflegt eure Netzwerke und Kontakte. Gute Musik zu machen, ist nur die halbe Miete.
Till: Zusammenhalt ist das A und O. "Zweierpasch" ist ein großes Team von rund zehn Leuten. Wenn sich jeder reinhaut, Ideen einbringt, seine Skills und Kontakte spielen lässt, geht es immer irgendwie weiter. Wir wandeln oft zwischen Himmel und Hölle. Mal läuft es super, dann ist man tagelang down. Die Erfahrung hat uns gelehrt: Wer am Ball bleibt, wird belohnt. Irgendwann öffnet sich die nächste Tür.

Erfolgreiche Hip-Hopper: Die Zwillinge Till und Felix Neumann stammen aus Kehl. | Foto: "Zweierpasch"
"Zweierpasch" mit Band | Foto: Stefanie Ringshofer

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