Gedenken an Familie Gradwohl
Drei Stolpersteine in der Hauptstraße

- Foto: Stadt Kehl,Norman Mummert
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Kehl (st) Drei Messingtafeln, eingelassen in den Boden an der Hauptstraße 33, erinnern seit Donnerstagmorgen an das schreckliche Schicksal der jüdischen Familie Gradwohl. Sie dienen als weiteres Mahnmal für die vom NS-Regime forcierte gesellschaftliche Ausgrenzung jüdischer Mitbürger und deren systematische Ermordung in Internierungslagern, informiert eine Pressemitteilung der Stadtverwaltung Kehl. In Kehl liegen nunmehr 76 Stolpersteine als Gedenken an die zahllosen Opfer des Nationalsozialismus.
Geschäft für Herrenbekleidung
Im April 1904 eröffnet Sigmund Gradwohl ein Geschäft für Herrenbekleidung in der Hauptstraße 54. Das Geschäft floriert, Sortiment und Ladenfläche wachsen und nur sechs Jahre später zieht er mit seinem Bekleidungsgeschäft in die Hauptstraße 33 um. In einer Zeitungsannonce aus dem Jahr 1922 wirbt Sigmund Gradwohl damit, dass sein Sortiment mittlerweile auch „Knaben- und Damenkonfektion“ umfasst. Doch mit dem ruhigen Familien- und Geschäftsleben sollte es bald vorbei sein. Am 23. März 1933 und damit nur knapp zwei Monate nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wird das Haus der Familie Gradwohl erstmals von örtlichen Behörden durchsucht. Die NS-Behörden werfen Sigmund Gradwohl vor, ein Spion zu sein, und beschlagnahmen seine Ausweispapiere. Er sowie seine Ehefrau Celine Gradwohl und Sohn Leo Gradwohl besitzen allesamt die französische Staatsbürgerschaft.
Sigmund Gradwohl flüchtet ins benachbarte Straßburg und wendet sich hilfesuchend an das französische Konsulat in Karlsruhe sowie die französische Botschaft in Berlin. Seine Frau und sein Sohn bleiben in Kehl, um das Geschäft am Laufen zu halten. Sigmund Gradwohl selbst sollte zeitlebens nicht mehr in die Rheinstadt zurückkehren.
Zeitzeugen-AG
Was der politische und gesellschaftliche Umschwung in den 1930er-Jahren für eine jüdische Familie bedeutet, veranschaulichte die Zeitzeugen-AG des Einstein-Gymnasiums bei der Stolpersteinverlegung eindrücklich mit einer szenischen Lesung. Die Schüler schlüpften in die Rollen und Köpfe von Sigmund, Celine und Leo Gradwohl und machten so die um sich greifende Verzweiflung und das Gefühl, ausgeliefert zu sein, für die Besucher der Stolpersteinverlegung erlebbar. Immer wieder werden an passender Stelle Interviews mit tatsächlichen Zeitzeugen eingespielt, die sich an das Bekleidungsgeschäft Gradwohl, an den am 1. April 1933 ausgerufenen „Judenboykott“ und pöbelnde SA-Mitglieder vor der Ladentür erinnern.
Schließlich verkauft Sigmund Gradwohl am 19. Januar 1938 das Gebäude an der Hauptstraße 33 an Thomas Markert, Inhaber der gleichnamigen Konditorei. Celine und Leo Gradwohl ziehen zu ihm nach Straßburg, wo sie nach Kriegsausbruch evakuiert werden. Celine Gradwohl stirbt im Alter von 61 Jahren in der ihnen zugewiesenen Unterkunft in Sainte-Marie-aux-Mines in den Vogesen. Sigmund Gradwohl kommt am 27. Oktober 1941 im Internierungslager von Drancy zu Tode. Sohn Leo wird am 13. Februar 1943 mit dem Transportzug 48 von den Nationalsozialisten ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und anschließend ermordet.
Erinnerung
„Wir tragen dafür Sorge, dass sich Fehler und Verbrechen aus der Vergangenheit nicht wiederholen“, mahnte Oberbürgermeister Wolfram Britz in seiner Ansprache. „Das kann aber nur gelingen, wenn wir uns kritisch mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen.“ In diesem Zusammenhang würdigte er das Engagement und Interesse der Zeitzeugen-AG unter der Leitung von Lehrer Uli Hillenbrand als „elementar wichtig“. Er dankte zudem dem Arbeitskreis 27. Januar und dem Stadtarchiv unter der Leitung von Matthias Kick für die Recherchearbeit. „Die Stolpersteine geben den Opfern des NS-Terrorregimes ihre Identität und ihre Würde zurück“, fügte er hinzu. Die Menschen in Kehl rief er auf, die Gedenksteine im Pflaster zum Anlass zu nehmen, innezuhalten und sich darauf zurückzubesinnen, „was uns als Gesellschaft verbindet“. Musikalisch begleitet wurde die Stolpersteinverlegung durch das Violinenspiel von Lea Balzar und Lena Stalinski. Als Nachfahren der Konditorfamilie Markert wohnten Mitglieder der Familie Zorn de Bulach der Gedenkfeier bei. Aus Straßburg war zudem der Vorsitzende des Vereins Stolpersteine 67, Richard Aboaf, gekommen.



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