An(ge)dacht: Gerhard Bernauer
Die Achtsamkeit auf den eigenen Atem

Gerhard Bernauer | Foto: privat

Erst wenn der Atem stockt, erst wenn etwas passiert, das uns den Atem verschlägt: etwas überwältigend Schönes oder etwas unbegreiflich Schlimmes – erst dann wird uns meistens bewusst, dass wir atmen. Dabei raten uns Ärzte und Therapeuten, täglich auf den Rhythmus von Aus- und Einatmen zu achten.

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Meditationsübungen laden dazu ein, mehrmals am Tag rhythmisch und tief zu atmen und versprechen dadurch eine heilsame Wirkung auf Leib und Seele. Achtsam atmen und die eigene Befindlichkeit hängen nämlich eng zusammen.

„Sein Unglück ausatmen können, tief ausatmen, so dass man wieder einatmen kann..., das wäre schon fast wieder Glück“, heißt es in einem Gedicht von Erich Fried. Und Goethe hat diesen Zusammenhang allgemeingültig so ausgesprochen: „Im Atemholen sind zweierlei Gnaden: die Luft einholen und sie wieder entladen. So danke Gott, wenn er dich presst, und danke, wenn er dich wieder entlässt“.

Die Bergpredigt Jesu im Matthäus-Evangelium verstehe ich in genau diesem Sinn, auch wenn nicht ausdrücklich vom Atmen die Rede ist: „Wenn du betest, geh' in deine Kammer, schließ' die Türe zu, dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist“ (6,6). Da braucht es kein Gebetbuch, keinen Vermittler, nicht einmal Licht, auch keine Worte. Nur die Achtsamkeit auf den eigenen Atem. Genau genommen ist es Gottes Lebenskraft: sein Atem, der in uns ist.

Manche von uns haben sich für die Vorbereitung auf Ostern, die wir auch Fastenzeit nennen, einiges vorgenommen. Es wäre viel gewonnen, wenn es gelänge, im oftmals belächelten stillen Kämmerlein „tief auszuatmen, so dass man wieder einatmen kann“ – und das jeden Tag mehrmals.

Gerhard Bernauer, Pfarrer im Ruhestand, Offenburg

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