Vielfältige Angebote für Demenzkranke unterstützen pflegende Angehörige
"Manchmal möchte man nur eine Nacht durchschlafen"

Viele Angebote sind auch mit einem Fahrdienst verbunden. | Foto: AWO
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Ortenau (dh/ds). Morgens um 10 Uhr zieht bereits ein Geruch von verbrannten Kartoffelpuffern durch die Wohnung: Das Mittagessen landet im Mülleimer. Die 74-jährige Frau hat Alzheimer und ihr Ehemann erträgt es verständnisvoll. Besonders schlimm sind für ihn aber die Nächte, wenn er aufstehen muss, weil seine Frau morgens um 3 Uhr einkaufen gehen möchte. Für Außenstehende sind solche Erlebnisse kaum vorstellbar. Der Tagesablauf ist auf die Bedürfnisse der zu pflegenden Angehörigen abgestimmt. Die physische und psychische Herausforderung ist riesengroß. Unterstützung und Entlastung im Alltag bieten verschiedene Angebote der Pflegedienste, der Wohlfahrtsverbände und der ehrenamtlichen Nachbarschaftshilfe.

Beispiele, wie eingangs erwähnt, kennt Kerstin Niermann vom Pflegestützpunkt Ortenaukreis viele. "Das muss allerdings nicht sein", sagt Niermann. Der Pflegestützpunkt Ortenaukreis ist eine neutrale und kostenlose Beratungsstelle für alle Menschen und Angehörige mit Unterstützungs- und Pflegebedarf. Es gibt die Zentrale in Offenburg sowie die Außenstellen Achern-Renchtal, Kehl, Kinzigtal und Lahr. Diese haben alle den selben beratenden Auftrag und sind auch für die jeweilig umliegenden Gemeinden zuständig. Damit können sich alle Ratsuchende wohnortnah beraten lassen. Bei Bedarf sind Beratungsgespräche auch zu Hause möglich. Die Pflegestützpunkte informieren kostenlos, umfassend und neutral zu allen Fragen der Pflege. Sie vermitteln und koordinieren pflegerische, medizinische und soziale Hilfs- und Unterstützungsangebote, Entlastungsangebote für pflegende Angehörige, Wohnen im Alter, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung. Mitarbeiterinnen des Pflegestützpunktes Ortenaukreis, wie Kerstin Niermann, kennen die Angebote und helfen weiter. "Alles, was sich planen lässt, gilt es, möglichst früh in Angriff zu nehmen", so Niermann. "Wer den Urlaub bucht, sollte sich möglichst gleichzeitig bereits um einen Platz in der Kurzzeitpflege kümmern. Das kann auch schon im Januar sein." Niermann weiß, dass die Probleme aber in aller Regel durch spontan eintretende Ereignisse entstehen: "Wenn Betreuungspersonen selbst durch Krankheit, einen Krankenhausaufenthalt oder andere Unwägbarkeiten verhindert sind, dann wird es schwer. Wen es jetzt in der Urlaubszeit trifft, dass er für eine Untersuchung für einige Tage ins Krankenhaus muss, der bekommt seinen pflegebedürftigen Angehörigen nur schwer versorgt." Das sind spontane Notfälle. "Wir werden dann oft angerufen und um Hilfe gebeten. Dann beginnen wir zu telefonieren, bis wir eine Lösung für die zu pflegende Person gefunden haben, sei es über die Nachbarschaftshilfe oder einen Kurzzeitpflegeplatz."

Aber auch für ganz alltägliche Probleme gibt es Lösungen. "Manchmal ist der Wunsch groß, wenigstens eine Nacht einmal wieder richtig durchzuschlafen. Für diese Fälle gibt es die Nachtpflege", so Niermann. "Das gibt es durchaus", bestätigt auch eine Mitarbeiterin des Pflegedienstes Martina Hodapp in Oberkirch. Dort wird die Tages- und Nachtpflege als Verhinderungspflege angeboten.

Es gibt zahlreiche häusliche Entlastungsdienste für demenzkranke Menschen, ein besonderer ist das Angebot "Zeit für mich". "Wer einmal für zwei Stunden in Ruhe zum Friseur will oder abends in den Sportverein, der nutzt dieses Angebot verschiedener Träger. Wir vermitteln den Helfer, der zu einem nach Hause kommt, und mit diesem werden individuelle Zeiten vereinbart. Bei der Arbeiterwohlfahrt haben wir alleine zwölf Helfer, jeder macht wenigstens einen Termin in der Woche", sagt Claudia Wirth, zuständig für die Altenhilfe im Kreisverband Ortenau der Arbeiterwohlfahrt.

Das Lahrer Netzwerk Demenz, zu dem der Pflegestützpunkt Ortenaukreis, die Arbeiterwohlfahrt, die Diakoniestation Lahr, das Mehrgenerationenhaus Lahr, der Förderverein Betreutes Wohnen St. Jakobus mit Nachbarschaftshilfe Kappel-Grafenhausen-Rust sowie die Nachbarschaftshilfen von Ettenheim, Friesenheim, Kippenheim/Mahlberg, Lahr, Schwanau, Schuttertal und Seelbach gehören, trifft sich regelmäßig, um der Frage nachzugehen, wie man pflegende Angehörige noch mehr entlasten kann. Schon heute bietet das Netzwerk einen Besuchsdienst und Betreuungsgruppen an. Eine Betreuungsgruppe der Diakoniestation Lahr unter dem Dachverband Evangelisches Stift Freiburg beispielsweise kommt seit Oktober immer dienstags zwischen 14 und 17 Uhr im Emmaus in Friesenheim zusammen. "Dort werden derzeit sieben Gäste von vier bis fünf Betreuungskräften umsorgt, darunter eine hauptamtliche Kraft", berichtet Pflegedienstleiter Benjamin Kessinger. Das Angebot für Menschen mit nur leichter Demenz wird vom Landkreis gefördert. Alle Gäste werden auf Wunsch zu Hause abgeholt und auch wieder nach Hause gebracht – für 32 Euro pro Nachmittag, die Betreuung inklusive. Wer möchte, kann auch an verschiedenen Ausflügen teilnehmen, im vergangenen Jahr ging es beispielsweise auf den Offenburger Weihnachtsmarkt. Ab dem 1. Januar wird die Diakoniestation eine zweite Betreuungsgruppe mit zehn Plätzen im Begegnungshaus in der Liebensteinstraße in Lahr anbieten.

Die Nachbarschaftshilfe Lahr lädt von Montag bis Freitag von 9 bis 14 Uhr zum Kochtreff in der Kaiserstraße 4 ein. Im Preis von 45 Euro pro Besuch sind der Fahrdienst und das Mittagessen enthalten. Auch dieses Angebot richtet sich an Senioren mit leichter Demenz. "Wir haben im Monat zwischen sechs und acht Gäste, um die sich drei Betreuungspersonen kümmern", so Silvia Bainczyk, Leiterin der Nachbarschaftshilfe. "Bei uns geht es um Geselligkeit. Wir bieten beispielsweise Spiele, Gymnastik und Gedächtnistraining an." Um 12 Uhr wird Mittag gegessen, das Essen wurde zuvor zusammen vorbereitet. Hierbei geht man auch gern auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gäste ein. Um 13 Uhr steht ein gemeinsamer Spaziergang an, bevor es um 13.30 Uhr Nachtisch gibt.

Ebenso wie die Diakoniestation Lahr bietet der Förderverein St. Jakobus Kappel-Grafenhausen-Rust unter dem Motto "Zeit für mich" eine Betreuungsgruppe in der Seniorenwohnanlage in Grafenhausen an. Sechs bis sieben Gäste kommen hier montags von 13.30 bis 16.30 Uhr zusammen und werden von ebenso vielen Fachkräften betreut. Der Besuchsdienst des Vereins betreut derzeit sechs Patienten. Die Betreuung und die Besuchsdauer ist ganz individuell. "Hier haben wir auch noch Kapazitäten frei", betont die Einsatzleiterin der Nachbarschaftshilfe Angelika Herbstrith.
Bereits vor zwei Jahren wollte der DRK-Kreisverband Lahr nach dem Vorbild von Kehl und Offenburg ein Café "Vergiss-mein-nicht" in Friesenheim eröffnen. Leider gab es damals keine Nachfrage. "Das Thema ist aber nicht vom Tisch, wir sind mit möglichen Partnern und dem Landratsamt weiter im Gespräch", erläutert Karin Ruder, Fachbereichsleiterin Sozialarbeit, auf Anfrage der Stadtanzeiger-Redaktion.

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