Aufklärungskampagne für ME/CFS
Verkannt und unbekannt: eine leise Krankheit

Demonstrieren im Liegen – symbolisch für die enorme Schwäche, die durch ME/CFS ausgelöst wird. Hier die Liegend-Demo in Friedrichshafen im vergangenen Sommer.   | Foto: privat
  • Demonstrieren im Liegen – symbolisch für die enorme Schwäche, die durch ME/CFS ausgelöst wird. Hier die Liegend-Demo in Friedrichshafen im vergangenen Sommer.
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Ortenau Helene Lang (Name von der Redaktion geändert) aus Offenburg würde gerne am 11. Mai nach Freiburg fahren. Doch die Elternsprecherin vom ME/CFS Netzwerk Baden-Württemberg ist nicht vor Ort – die Gefahr, sich einen Virus einzufangen und ihre kranke Tochter anzustecken, sei zu groß. Vor Ort, am Platz der Alten Synagoge, ist Gerhard Heiner, Sprecher der Initiative ME/CFS Freiburg. Sie fungiert als Veranstalter der Großkundgebung (13 bis 16 Uhr), unterstützt und mitorganisiert von der ME/CFS-Selbsthilfe Freiburg, dem ME/CFS-Netzwerk Baden-Württemberg und der Initiative LiegendDemo.

Keine psychiatrische Krankheit

„Makaber ausgedrückt war Corona ein Glücksfall“, sagt Helene Lang. Denn seit eine Subgruppe der Long-Covid-Betroffenen ME/CFS entwickelten, ist die Krankheit bekannter geworden. Aber noch immer wissen nur wenige Ärzte um ihre Besonderheit, die Betroffenen werden gar nicht oder falsch therapiert. Umso erstaunlicher, als die WHO bereits 1969 die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom als organische Krankheit klassifiziert hat, meist von viralen Infekten ausgelöst. Die Ausprägung ist sehr unterschiedlich, wobei auch eine mildere Form von Fatigue ein Leben zerstören kann: „Mein Sohn musste sein Studium aufgeben, seine Zukunftsträume begraben“, erzählt Gerhard Heiner. Und Helene Lang sieht seit Jahren am Schicksal ihrer Tochter, dass die schwerste Form Bettlägerigkeit bedeutet, mit Intoleranz von Licht, Geräuschen, Berührung: „Ich will diese stille humanitäre Katastrophe mitten unter uns öffentlich machen, dass sie bei den Ärzten, Pflegern, Lehrern und Ämtern ankommt.“

Aufklärung sei notwendig, ergänzt Gerhard Heiner, um der ME/CFS-Versorgungswüste ein Ende zu bereiten, etwa durch den Aufbau von Kompetenzzentren mit interdisziplinärer Versorgung, Forschung und Behandlung. Für den Aspekt „Aufklärung“ konnte die Initiative mit Prof. Dr. Patrick Gerner als Hauptredner einen engagierten Mitstreiter gewinnen. Der Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Ortenau-Klinikum betont die Besonderheit von ME/CFS: „ME/CFS ist ein Mysterium. Während normalerweise Fatigue-Erkrankungen auf eine Aktivierung positiv reagieren, führt eine körperliche und/oder geistige Aktivierung von Patienten mit ME/CFS oft zu einer Verschlechterung der Symptomatik. Das bezeichnet die sogenannte PEM. Da die meisten Ärzte diese Symptomatik einer PEM nicht kennen, überfordern sie die Patienten mit Diagnostik, Wartezeit oder anderen Maßnahmen.“ Ganz wichtig: „ME/CFS ist keine psychiatrische oder psychologische Erkrankung!“

Der Forschungsstand ist gering

In Deutschland geht man von 500.000 bis 600.000 Betroffenen aus. Bezogen auf die Bevölkerung des Ortenaukreises entspricht dies etwa 2.500 bis 3.000 Patienten mit ME/CFS. Kausale, sprich heilende Therapien und Medikamente gibt es bislang nicht. Kleiner Hoffnungsschimmer: die Ergebnisse vom 16. April am 3. Runden Tisch zum Thema Long-Covid. Laut Gesundheitsminister Lauterbach werden für Forschung, flächendeckende Kompetenzzentren, den Innovationsausschuss und die bessere Versorgung von erkrankten Kindern und Jugendlichen bis 2028 rund 150 Millionen bereitgestellt. Auch soll es möglich sein, sogenannte Off-Label-Medikamente, das heißt für andere Indikationen zugelassene Medikamente, zur Linderung der Symptome zu verordnen.

Gerhard Heiner und Helene Lang sind vorsichtig optimistisch, die Zahlen stimmen positiv. Skepsis überwiegt in Sachen flächendeckende Kompetenzzentren: „Wo sollen die Ärzte und das Pflegepersonal herkommen, die hochkomplexe Patienten betreuen können?“ Auch wäre zu wünschen, dass ME/CFS nicht nur als Subgruppe von Long-Covid gesehen wird, sondern dass auch die durch andere Viren ME/CFS-Erkrankten einbezogen werden.

Hintergrund

Die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine komplexe schwere neuroimmunilogische Erkrankung, die meist nach Infektionen auftritt. Das Kardinalsymptom ist die Belastungsintoleranz, das heißt körperliche Aktivierung führt zur deutlichen Verschlechterung, zur Post-Exterional Malaise (PEM). Die Betroffenen leiden unter Schlafstörungen, ausgeprägter Schwäche, Schwindel, grippalen Symptomen. Ein Viertel kann das Haus nicht mehr verlassen, mehr als 60 Prozent sind arbeitsunfähig. Für das stark lebenseinschränkende ME/CFS gibt es bis heute keine kurative Behandlung oder Heilung. Was ME/CFS für die Betroffenen bedeutet

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