Silvia Ehrlinger hat ihren Weg gefunden
Objekte aus Zeitungspapier sind wie ein Zeichen der Zeit

Kunst aus und mit Zeitungspapier, aber auch Holz, das sind Arbeiten von Silvia Ehrlinger.  | Foto: Foto: dh
  • Kunst aus und mit Zeitungspapier, aber auch Holz, das sind Arbeiten von Silvia Ehrlinger.
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Nordrach/Zell a.H. Der künstlerische Anfang von Silvia Ehrlinger, die heute in Nordrach lebt,
liegt in der Malerei. Durch die Teilnahme an der Internationalen
Sommerakademie in Salzburg 1996 mit Kursen bei Leon Golub, Nancy Spero
und Tone Fink entdeckte sie die Zeitungen als gestalterisches Mittel.
„Wir haben einmal Kollagen gemacht, da lag ein Stück Zeitungspapier vor
mir auf dem Boden, das habe ich dann eingearbeitet. So bin ich auf die
Zeitung gekommen. Es ist ein Material, mit dem ich meine Ideen
ausdrücken kann“, sagt Silvia Ehrlinger, die ihr Atelier in Zell am
Harmersbach hat. Das große Thema von Silvia Ehrlinger, die in
Hagen/Westfalen geboren wurde, ist die Zeit. Was eben noch aktuelle
Neuigkeit in der Zeitung war, drängend, beängstigend und oft auch
katastrophal, das verliert für sie durch den Strom der Zeit an Kraft und
Bedeutung. Ehrlinger faltet, zerknüllt, dreht, stapelt und flechtet das
Papier. Dabei lässt sie es sehr oft in ihrer ursprünglichen oder nutzt
weiße Farbe. Um Aussagen in ihren Arbeiten besonders zur Geltung zu
bringen, verwendet sie bunte Fotos und Anzeigen für ihre Objekte.

Silvia Ehrlinger kommt aus einer Unternehmerfamilie. Von 1957 bis 1962
studierte sie an den Universitäten in Frankfurt/Main, München und
Würzburg Betriebswirtschaftslehre und ist Diplom-Kauffrau. „Kunst wollte
ich damals nicht studieren, das habe ich mir beruflich nicht
zugetraut“, sagt Silvia Ehrlinger, die durch ihren Mann, ebenfalls ein
Betriebswirt, sieben Jahre in Lahr lebte, wo dieser damalsarbeitete. So
lernten beide den Schwarzwald kennen. Dann ging es rund 25 Jahre nach
Düsseldorf. Dort wagte Silvia Ehrlinger doch den Schritt auf die Kunst
zu. Von 1981 bis 1990 war sie an der Malschule Düsseldorf und lernte
Zeichnen und Malerei bei Wolfgang Eckhard und Barbara Böhringer. 1992
und 1993 besuchte sie die europäische Akademie für Bildende Kunst in
Trier bei Toon des Haas, Michael Kroth und Simon Kramer. Seit 1996 leben
sie und ihr Mann in Nordrach.

„Wir haben schon immer viele Zeitungen gelesen, die haben sich oft gestapelt“, sagt Ehrlinger. Ihre
ersten Objekte nannte sie treffender Weise „Hochgestapelt“, da diese zum
Beispiel auf dickem Holzpapier befestigt und dann gut zwei Meter hoch
waren. So hingen die Objekte dann an der Wand. Zeit zu „schichten“ oder
zu „stapeln“ faszinierte sie. Die Zeitung bedeutet für sie Zeit. Wenn
sie Federstahl aus der elterlichen Produktion benutzte und darin
Zeitungen presste oder hineinlegte, dann gab sie damit der
Zeitgeschichte einen festen Halt.

„Zeitung ist aber ein sehr sprödes Material. Auf der Rückseite bestreiche ich es mit Acryl pur. Das
ist dann gleichzeitig der Binder beziehungsweise die Klebemasse. Das
Papier wird für mich dann auch entsprechend formbar“, so Ehrlinger, die
immer andere Möglichkeiten suchte und verschiedene Techniken
entwickelte. In einige ihrer „Zeitungsstapel“ machte sie auch Fenster,
Leerräume, die sie aber nicht näher definierte. In Luft und Wasser gibt
es oft Turbulenzen. Objekte von Ehrlinger können dabei gänzlich aus
Turbulenzen bestehen, in form von gefaltetem in verschiedenen Richtungen
aneinanderliegendem Papier. Dann ist keine Richtung zu erkennen. Es
können aber auch teilweise Turbulenzen sein, die eine Papierlinie wie
durch einen Papierkeil durchbrechen. Den Papierkeil hebt sie dann
beispielsweise durch gelbe bis ins Orange gehende Zeitungsanzeigen, die
sie in diesem Fall verarbeitet hat, hervor. „Die Farbe betont und setzt
Schwerpunkte“, sagt Ehrlinger.

Von der Zeit zeugen auch der Wald und die Bäume. Auf menschenhohe Stahlfedern spießt sie dann kleinere und
größere gefaltete Papiere. So entsteht ein Zeitungsbaum und mehrere von
ihnen sind dann ein (Zeitungs-)Wald. Eine weitere Möglichkeit ist, dass
Silvia Ehrlinger Holzfindlinge benutzt, die der Sturm abgerissen oder
gespaltet hat. Das Fragment einer Baumscheibe ergänzt sie dann mit
Zeitungen. Diese ordnet Ehrlinger so an, dass die Jahresringe durch die
Zeitung fortgesetzt werden.

Silvia Ehrlinger greift aber auch Strukturen auf, zum Beispiel wenn sie von ihren Arbeiten unter dem Titel
„Flickwerk“ spricht: „Das ist wie ein schlecht gestopfter Strumpf, die
Löcher bekommt man nicht mehr richtig zu, zumindest nicht so, wie der
Strumpf vorher einmal war.“ Wobei man manches Flickwerk fast schon mit
einem Gefängnisfenster vergleichen könnte. Mit den Zeitungen gestaltet
die Wahl-Nordracherin aber auch Irrgärten und Labyrinthe, kleinere,
etwas größer als ein DIN A4-Papier, und große die mehrere Meter messen.
Dann geht es Silvia Ehrlinger um Mittelpunkte und Umwege, die das Leben
für einen Menschen bereithält. Silvia Ehrlinger hat ihren Weg auf jeden
Fall gefunden.

Autor: Daniel Hengst

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