Alltag auf der Intensivstation
Die Zeit zum Luftholen fehlt einfach

Siliva Peter-Borutta (l.) und Victoria Huber erzählen von ihrem Alltag im Ortenau Klinikum. | Foto: gro
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Offenburg (gro). Die Arbeit mit Patienten habe sie gereizt, sagt Silvia Peter-Borutta, Bereichsleiterin Intensivstation am Ortenau Klinikum in Offenburg. "Es ist ein abwechslungsreicher Beruf. Sie begleiten Menschen in einer Ausnahmesituation, das hat was." Bei Victoria Huber, eine der Stationsleitungen der Chirurgischen Intensivstation am Ortenau Klinikum in Offenburg, war es der Kontakt mit einem Angehörigen, der ihr Interesse an der Krankenpflege geweckt hatte. Beide entschieden sich während ihrer Ausbildung für die Intensivpflege. "Man ist noch näher an den Patienten und es wird sehr viel medizinisches Fachwissen abgefordert", so Silvia Peter-Borutta. Ihre Kollegin schätzt, dass in diesem Bereich die Arbeit in interdiziplinären Teams gefragt ist. "Eine Notfallsituation lässt sich nur im Team lösen", erklärt Victoria Huber.

Seit mehr als einem Jahr sind die Pflegekräfte auf den Intensivstationen noch stärker gefordert. Denn mit den ersten Coronapatienten im Frühling 2020 hat sich ihr Arbeitsalltag völlig verändert. "Die Intensivstation der Inneren Medizin wurde zur Coronastation", beschreibt Silvia Peter-Borruta die notwendigen Umstrukturierungen in der Klinik. Intensivpflichtige Patienten ohne eine Coronainfektion, die sonst dort betreut werden, liegen nun – zusammen mit den chirurgischen Patienten – auf der operativen Intensivabteilung. "Das erschwert auch die Arbeit des dortigen Personals. Die internistischen Intensivbetten sind ja mit Coronapatienten belegt", so die Bereichsleiterin.

Notfälle haben Vorrang

Zwar müssten derzeit bei weitem nicht alle planbaren Eingriffe wie während der ersten Coronawelle aufgeschoben werden, dennoch: "Einige Patienten, die sich eigentlich auf eine OP eingestellt haben, müssen im Moment warten", macht Victoria Huber deutlich. Dies gelte natürlich nur für solche Eingriffe, bei denen ein Aufschub überhaupt machbar sei. Notfälle würden natürlich behandelt. "Wir freuen uns über jeden Feiertag, an dem es regnet", sagt Silvia Peter-Borutta trocken. Dann gebe es weniger Unfälle, vor allem bei Motorradfahrern. "Und dann stehen uns mehr Intensivbetten zur Verfügung." Victoria Huber pflichtet ihr bei: "Unfallpatienten erhöhen noch mal die Belastung bei uns." Die Intensivbetten seien in aller Regel durchgängig belegt. "Sonst ist schon mal ein Bett für einen Tag frei, aber seit Corona wird ein Patient verlegt und der nächste wartet bereits." Zeit zum Luftholen gebe es auf den Intensivstationen nur selten. Viele Kollegen hätten Überstunden angesammelt, ohne derzeit eine Perspektive zu haben, diese in absehbarer Zeit wieder auszugleichen.

Ähnlich sieht es auf der Corona-Intensivstation aus. "Wir haben Patienten, die permanent Pflegekräfte an ihrem Bett brauchen", macht Silvia Peter-Borutta den Unterschied zum Alltag vor der Pandemie klar. Das Problem sei die Atemnot, unter der die Patienten litten. "Man kann sie nicht alleine lassen. Die Angst belastet die Patienten und die Verschlechterungen passieren so schnell", versucht die Bereichsleiterin die Herausforderungen, vor die Covid-19 das Pflegepersonal stellt, zu beschreiben. "Sie drehen sich für einen Moment um und haben im nächsten Augenblick einen Sättigungsabfall beim Sauerstoff. Von dem Augenblick, in dem der Patient auf die Station kommt, ist es ein Kampf um Leben und Tod."

Besuchseinschränkungen wirken verschärfend

Verschärft wird die Situation für das Personal durch die Besuchseinschränkungen für die Angehörigen. "Es fehlt die uneingeschränkte Sterbebegleitung durch die Angehörigen", sagt Silvia Peter-Borutta. Wie es um den Kranken stehe, erfahre die Familie nur durch Telefonate. "Wir sind die Vermittler am Telefon", so die erfahrene Pflegekraft. Das Wissen, dass die künstliche Beatmung keine Garantie auf Besserung sei, sei ebenfalls belastend. "Man kann den Patienten eigentlich kaum Mut zusprechen", stellt sie fest. "Es trifft nicht nur die älteren Menschen, wir haben auch viele jüngere Patienten, die um ihr Leben kämpfen." Und ihre Kollegin Victoria Huber ergänzt: "Es gibt immer noch so viele Tote durch Covid-19." Sie appelliert: "Viele denken, es sei legitim sich ungeschützt und in großer Anzahl in der Familie zu treffen. Aber es kommt vor, dass mehrere Mitglieder einer Familie auf die Intensivstation kommen." Silvia Peter-Borutta stellt fest: "Wir haben schon Menschen erlebt, die sich bittere Vorwürfe gemacht haben, dass sie ihre Angehörigen angesteckt haben." Deshalb können die Pflegenden an vorderster Front Impfgegner und Corona-Leugner überhaupt nicht verstehen.

Doch nicht nur auf den Intensivstationen ist die Belastung nach mehr als einem Jahr im Pandemiemodus spürbar. "Das Besuchsverbot gilt ja für das gesamte Klinikum", so Victoria Huber. "Den Patienten fehlen die Angehörigen und die damit verbundene Aufmunterung."

Ausreichend Schutzausrüstung

Im Gegensatz zur ersten Welle sei nun bundesweit ausreichend Schutzausrüstung vorhanden und das Personal verfüge über mehr Erfahrung mit dem Krankheitsbild Corona. "Viele haben das Angebot der Impfung genutzt", weiß Silvia Peter-Borutta.

Doch trotz aller Belastungen, ihren Beruf würden beide erneut ergreifen. "Auch wenn er sehr anstrengend ist, schon allein durch die Belastung des Schichtdienstes", sagt Victoria Huber. Beide fühlen sich von ihren Kollegen, aber auch durch die Patienten wertgeschätzt. "Ich würde gerne einige politische Entscheidungen der Gesundheitspolitik mit gravierenden Auswirkungen auf die Berufsgruppe der Pflegenden verändern", gibt Silvia Peter-Borutta unumwunden zu. "Die Rahmenbedingen in Deutschland sind immer schwieriger für uns geworden. Doch unter den richtigen Rahmenbedingungen – sprich: wenn man so pflegen kann, wie man es gelernt hat – ist Pflege ein toller Beruf."

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