Prof. Paul Witt erinnert sich
Vom klassischen Amt zum Dienstleister

1972 wurde die Hochschule Kehl als Staatliche Verwaltungsschule gegründet und gebaut. Ein Blick auf die Baustelle | Foto: Hochschule Kehl
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  • 1972 wurde die Hochschule Kehl als Staatliche Verwaltungsschule gegründet und gebaut. Ein Blick auf die Baustelle
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Kehl. Ob 1972, 1997 oder 2022: Kommunen, Landkreise, Land oder Bund – ohne Verwaltung geht es nicht. Christina Großheim sprach mit Prof. Paul Witt, ehemaliger Rektor der Verwaltungshochschule in Kehl, über deren Entwicklung in den vergangenen Jahren.

Was erwartete den Bürger, der 1972 „aufs Amt“ ging?
Im Wesentlichen eine juristisch saubere Behandlung seines Anliegens, mehr nicht. Ich erinnere mich an die Abgabe meiner ersten Steuererklärung beim Finanzamt. Das war ziemlich genau im Jahr 1972. Ich klopfte an und an einem völlig mit Akten überladenen Schreibtisch saß ein älterer, ergrauter Beamter, der nicht aufblickte, als ich eintrat, und fragte: „Was gibt’s?“. Nachdem ich mein Anliegen geschildert hatte, nahm er die Steuererklärung ohne Blickkontakt, knallte einen Eingangsstempel drauf und sagte „Auf Wiedersehen!“ und ich verließ den Raum. Ein paar Wochen später erhielt ich korrekt und fehlerlos meine Steuererstattung.

Welche Rolle spielte die Verwaltung im Leben der Bürger?
Daseinsvorsorge hieß das Stichwort. Die öffentliche Verwaltung hatte die Aufgabe, die nötige Infrastruktur für die Bürger bereitzustellen und aufrecht zu erhalten. Dabei ging es im Wesentlichen um Wasserversorgung, Abwasser- und Müllbeseitigung, Erschließung von Wohn- und Baugebieten sowie Gewerbegebieten und mehr. Bauen spielte eine wichtige Rolle. Die Bürgermeister damals waren stets mit Stiefeln im Kofferraum unterwegs, weil sie von Baustelle zu Baustelle fuhren, um Bauaufsicht zu machen. Die öffentlichen Verwaltungen waren ausgerichtet durch eine überwiegend juristisch orientierte Sichtweise der Aufgabenerledigung.

Wann kam der Gedanke des Dienstleisters auf?
Das war im Wesentlichen durch die Einführung des „Neuen Steuerungsmodells“ der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement, KGSt, in Köln – um die 90er-Jahre. 1991 wurden die ersten Berichte veröffentlicht. Darin kamen Begriffe wie Kunden-orientierung, Transparenz, ökologisches und ökonomisches Verwaltungshandeln zum ersten Mal zur Sprache. Übrigens war der inzwischen verstorbene Prof. Gerhard Banner damals Vorstandsvorsitzender der KGSt und zweitweise auch Hochschulratsvorsitzender und Ehrensenator unserer Hochschule, der Vater und Mitbegründer dieses Neuen Steuerungsmodells.

Wann wurden die ersten Bürgerbüros eröffnet?
Diese kamen infolge dieses Neuen Steuerungsmodells Ende der 90er-Jahre auf. Die größeren Städte waren natürlich schneller als die kleinen Gemeinden. In Großstädten über 100.000 Einwohner gab es schon sehr früh Bürgerbüros und kundenfreundliche Öffnungszeiten.

Wie haben sich die Zuständigkeiten in der Verwaltung über die Jahre verändert?
Sie sind vielfältiger und vielseitiger geworden. Es sind im Lauf der Zeit viele neue Aufgaben auf die Kommunen, aber auch auf die Länder zugekommen. Nach dem Subsidiaritätsprinzip soll sich ja die jeweils untere Ebene um alle Angelegenheiten kümmern. Die jeweils übergeordnete Ebene soll nur dann zuständig sein, wenn die untere Ebene damit überfordert ist. Das heißt, die Kommunen, also die Städte und Gemeinden, sind die erste Anlaufstelle für die Bürger und daher von enormer Bedeutung.

Wie hat der Einsatz von EDV die Arbeit verändert?
Der Computer und die IT haben die Arbeit wesentlich verändert. Die Bürger erwarten zu Recht eine schnellere Aufgabenerledigung. Gleichzeitig sind die Vorgänge der Verwaltung komplexer geworden und daher oft schwieriger. Das bedeutet aber, dass nicht immer Schnelligkeit und Sorgfalt in Übereinstimmung gebracht werden können. Dazu kommt dann noch das Internet. Man findet zwar im Internet für alles eine Lösung, ob diese dann auch immer richtig ist, sei dahingestellt.

Wo stehen die Kommunen bei der Digitalisierung?
Daran müssen sie noch stark arbeiten. Dazu brauchen sie aber auch eine funktionierende Infrastruktur wie die Breitbandversorgung. Es gibt Bereiche der öffentlichen Verwaltung, wie beim Finanzamt, wo die Digitalisierung gut funktioniert. Dort sind die Verfahren relativ einheitlich. Im kommunalen Bereich sind die Verfahren aufgrund der kommunalen Selbstverwaltung sehr unterschiedlich, dies macht es schwieriger.

Wie hat sich die Hochschule Kehl entwickelt?
Die Hochschule hatte 1972 mit 186 Studierenden ihren Betrieb aufgenommen. 25 Jahre später starteten bereits 303 junge Personen in jedem Jahr das Studium. Heute dürfen jedes Jahr 453 junge Menschen im Bachelorstudiengang Public Management, 25 im Bachelorstudiengang Digitales Verwaltungsmanagement und jeweils 25 in den vier Masterstudiengängen ausgebildet werden. Die Hochschule hatte im Jahr 1972, als sie als "Staatliche höhere Verwaltungsschule" begonnen hat, einen Frauenanteil von 20 Prozent, 80 Prozent waren Männer. Das hat sich in den vergangenen 50 Jahren fast umgedreht: Heute sind es 25 Prozent Männer und 75 Prozent Frauen. Das Fächerspektrum hat sich aufgrund der Generalisierung erweitert.

Wie wichtig sind gut ausgebildete Fachleute für die Verwaltung?
Sie sind essentiell wichtig. Der gehobene Dienst gilt nach wie vor als Rückgrat der Verwaltung vor allem in den Kommunen. Dies hat sich beim Transformationsprozess der neuen Länder in die BRD gezeigt.

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