Fussnote
Gesetzliche Fürsorge

Es ist beruhigend, in einem Land zu leben, in dem sich der Gesetzgeber so um die Gesundheit der Arbeitnehmer sorgt. Manch anderes Land beneidet uns beispielsweise um die Betriebsärzte. Die sind uns lieb und teuer. Obwohl Letzteres eigentlich nur den Arbeitgebern. Die müssen sie bezahlen.
Da ich krankenversichert bin, wäre ich nicht auf einen Betriebsarzt angewiesen. Von akuten Notfällen am Wochenende abgesehen, vertraue ich meine Wehwechen lieber meinem Hausarzt an. Darüber hinaus bin ich als eifrige Leserin der Apotheken Umschau umfassend darüber informiert, welche Erkrankungen gerade angesagt sind. Eine teure betriebsärztliche Beratung in dieser Richtung ist also unnötig.
Nun kann mich theoretisch niemand zwingen, einen solchen zu konsultieren. In der Praxis ist mein Arbeitgeber aber gesetzlich gezwungen, es mir anzubieten. Eine Verpflichtung, die er sehr ernst nimmt. Und versuchen Sie mal, unserer Geschäftsführung etwas auszuschlagen. Vielleicht wäre diese nachsichtiger, wenn es in unserem Verlag genügend Freiwillige gäbe. Das ist nicht der Fall, weswegen vergangenes Jahr trotz allen Streubens ich zum Bauernopfer bestimmt wurde.
Nun muss man wissen, dass ich bereits vor rund 15 Jahren bei einem anderen Betriebsarzt war. Ich ging damals ganz offen an die Sache heran. Beim Sehtest erschrak ich allerdings zu Tode, weil alles verschwommen war. Bei der Ursachenforschung stellte sich heraus, dass die Gläser des Geräts völlig verschmiert waren. Entsprechend misstrauisch sah ich der betriebsärztlichen Untersuchung vergangenes Jahr entgegen. Glücklicherweise hatten sich die hygienischen Standards verbessert. Brav absolvierte ich also den Sehtest, ließ meinen Blutdruck messen und beantwortete alle Fragen. Eigentlich hätte das Ganze ruck, zuck über die Bühne gehen können. Tat es aber nicht. Eines muss man ihnen nämlich lassen: Betriebsärzte bieten etwas für ihr Geld. Da wird knallhart hinterfragt. Und selbst wenn die Antworten zeigen, dass der Patient alles über Vorsorge weiß, bekommt er einen Fachvortrag über Selbstverständlichkeiten. Highlight ist die richtige Einrichtung des Arbeitsplatzes. Das hatte zwar kurze Zeit zuvor schon ein netter Herr von der Arbeitssicherheit gemacht. Aber es gibt wohl völlig unterschiedliche richtige Einstellungen.
Bald steht wieder eine Visite an. Alleine beim Gedanken daran, muss ich niesen. Vielleicht leide ich an einer Betriebsarzt-Allergie? Aus gesundheitlichen Gründen ist es sicher besser, den Kontakt zu meiden.
Anne-Marie Glaser

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.