Ministerin zur Situation in Gefängnissen
Marion Gentges: "Die Kapazitäten sind ausgereizt"

Marion Gentges (l.), Landesministerin der Justiz und für Migration, beim Redaktionsbesuch mit Guller-Chefredakteurin Anne-Marie Glaser  | Foto:  mak
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Offenburg Halbzeit für Marion Gentges, Ministerin der Justiz und für Migration des Landes Baden-Württemberg. Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Bei ihrem Redaktionsbesuch spricht die Ministerin, die in Zell zuhause ist, über Themen wie Fachkräftemangel in der Justiz, volle Haftanstalten und die Schaffung von zehn Plätzen für Sicherungsverwahrte in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Offenburg.

"Die Kapazitäten sind ausgereizt", sagt Marion Gentges zur Belegungssituation in den Haftanstalten des Landes. "Wir brauchen zusätzlich 1.000 neue Haftplätze. Im Jahr 2023 konnten wir bereits 360 neue schaffen", bilanziert sie. Die noch fehlenden würden durch Baumaßnehmen in Ravensburg, Heimsheim, Schwäbisch Hall, Rottweil, Stuttgart und dem Vollzugskrankenhaus in der Landeshauptstadt folgen.

Sicherungsverwahrung

Bauliche Anpassungen gibt es auch in der JVA Offenburg, denn dort werden zehn Plätze für Sicherungsverwahrte geschaffen. In der Sicherungsverwahrung werden Straftäter nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe aufgrund ihrer Gefährlichkeit untergebracht. Anfang des kommenden Jahres soll der Umbau in der JVA Offenburg fertiggestellt werden.

Die zusätzlichen Plätze sind laut Gentges nötig, weil die zentrale Unterbringung in Freiburg, die insgesamt 63 Plätze für Männer hat, nahezu voll belegt ist. Zwar sei auch dort eine Aufstockung geplant, die sich aber noch verzögere, so die Ministerin. Damit konfrontiert, dass viele Menschen in Offenburg der Einrichtung von zehn Plätzen für die Sicherungsverwahrung mit sehr gemischten Gefühlen und Angst entgegen sehen, kann die Ministerin die Sorgen der Menschen nachvollziehen, beruhigt aber: "Es besteht keine erhöhte Gefährdung für die Menschen in Offenburg." In den vergangenen zehn Jahren habe es keine Entweichung aus der Zentralstelle in Freiburg gegeben.

Sicherungsverwahrte dürfen vier Mal im Jahr in Begleitung mindestens eines Justizvollzugsbeamten die Haftanstalt verlassen, um den Bezug zur Außenwelt nicht völlig zu verlieren. Viele von ihnen würden von diesen sogenannten Ausführungen allerdings keinen Gebrauch machen, weiß die Ministerin zu berichten. Sie verdeutlicht dies an einem Beispiel aus der Praxis: "Ein Mann wollte einkaufen, kam aber ohne einzukaufen wieder aus dem Supermarkt heraus. Er war mit der Situation einfach überfordert, auch als ihn die Kassiererin fragte, ob er mit Karte zahlen wolle. Er war bereits solange in Haft, dass er dieses Bezahlsystem gar nicht kannte. Er war fix und fertig und wollte keine weiteren Ausführungen", erzählt Marion Gentges.

Keine unbegleitete Ausführung

Sie macht aber auch deutlich, dass es einen unbegleiteten Freigang in Offenburg nicht geben wird. Die etwaigen Vorbereitungen auf die Freiheit eines Sicherungsverwahrten werden zudem nicht in Offenburg stattfinden, versichert sie.

Um die Aufgaben der Justiz in Baden-Württemberg bewältigen zu können, hat Gentges das Personal aufgestockt. Mit über 900 Stellen konnten die Gerichte, Staatsanwaltschaften und der Justizvollzug in den vergangenen zweieinhalb Jahren verstärkt werden. Alleine in den vergangenen zwei Jahren wurden davon nur im Justizvollzugsdienst, in dem insgesamt 4.537 Menschen tätig sind, 538 Stellen neu geschaffen. "Wir bekommen die Leute", so Gentges. Und weiter: "Wir können auch etwas bieten", ist sie sich sicher. Der Justizvollzugsdienst sei eine sinnhafte Tätigkeit, bei der man für die Sicherheit des Landes etwas Gutes tue und an der Resozialisierung der Gefangenen maßgeblich beteiligt sei.

Sehr gut aufgestellt sei man in Sachen Digitalisierung. "Hierbei sind wir bundesweit Spitzenreiter", so die Ministerin stolz. Jedes Gericht in Baden-Württemberg werde in Kürze mit der elektronischen Akte ausgestattet sein.

Der ehemalige CSU-Vorsitzende Horst Seehofer nannte sie mal die "Mutter aller Probleme". Die Rede ist von der Migration, die auch in das Ressort von Landesjustizministerin Marion Gentges fällt und Bund, Länder und Kommunen vor große Herausforderungen stellt.

"Das zentrale Problem sind die zu hohen Zugangszahlen", sagt Marion Gentges bei ihrem Besuch in der Guller-Redaktion. Und weiter: "Als Bundesland können wir diese Zahlen nicht beschränken. Wir können nur politisch in Richtung Bund und Europäische Union agieren", zeigt Gentges ihre Handlungsspielräume auf. Man versuche mit den Kommunen Lösungen zu erarbeiten und vorausschauend zu handeln, um die Menschen gut unterzubringen und zu versorgen. Vom Bund fordert sie, die Zahlen der Flüchtlinge zu reduzieren. "Wir sind nicht handlungsunfähig, nur der Bund kann den Zugang steuern und begrenzen", so ihre Forderung nach Berlin.

Drei Zeitebenen

Die Stellschrauben, an denen gedreht werden müsse, um das Migrationsproblem in den Griff zu bekommen, sieht Gentges auf drei Zeitschienen. "Langfristig müssen wir unser System grundsätzlich überdenken, denn die Zahlen überfordern." Es wird auch nicht denen Schutz geboten, die ihn am meisten brauchen, sondern denen, die es schaffen, sich nach Deutschland durchzuschlagen." Zudem plädiert sie dafür, Asylverfahren bereits in den Heimatländern der Migranten durchzuführen.

Auf der mittelfristigen Ebene sei eine europäische Lösung unabdingbar. Dabei gehe es auch darum, Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen zu registrieren und sie dann auf die Mitgliedsländer zu verteilen. "Hierbei kann die EU ihre Handlungsfähigkeit zeigen", findet Gentges.

Kurzfristig sollte Deutschland alles tun, um den Zuzug zu begrenzen. Als mögliche Maßnahmen sieht die Ministerin hierbei die Einführung stationärer Grenzkontrollen sowie die Ausweisung von mehr sicheren Herkunftsländern. "Das Signal muss sein: Macht euch nicht auf den mitunter gefährlichen Weg ohne Perspektive, aufgenommen werden zu können." Als Problem macht Marion Gentges zudem die große Diskrepanz bei der Leistungshöhe aus, die Flüchtlingen in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten zustehen. Sach- anstelle von Geldleistungen könnten eine Option sein, die Umsetzung auf den unterschiedlichen Ebenen sei aber schwierig, betont sie. Auch bei den Abschiebungen müssten Bund und EU Druck auf die Herkunftsstaaten ausüben, damit Rückführungen effektiv durchgesetzt werden könnten. "Der Flaschenhals sind aber die Asylverfahren. Eine gesetzliche Vereinfachung und mehr Personal würde uns helfen", ist sich Ministerin Gentges sicher.

Vor personellen Herausforderungen steht man aber auch im Justizvollzug (siehe Titelseite), denn die Migration spiegelt sich auch in den Haftanstalten des Landes wider. "Migranten sind bei der Begehung von Straftaten überrepräsentiert – auch bei Rohheitsdelikten", führt Gentges aus. Hierbei stehe das Personal vor großen Herausforderungen und auch Sprachproblemen, die man mit Videodolmetschern versucht, in den Griff zu bekommen.

Marion Gentges (l.), Landesministerin der Justiz und für Migration, beim Redaktionsbesuch mit Guller-Chefredakteurin Anne-Marie Glaser  | Foto:  mak
Im März des vergangenen Jahres besucht Marion Gentges (2. v. l.) die Notunterkunft für ukrainische Flüchtlinge auf dem Gelände der Messe Offenburg. | Foto: mak (Archivfoto)

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